Šibenik – Split 08.10.2018 Reise mit der HZPP (ÖV)

Geplant war, dass wir mit dem Zug nach Perkovic nehmen, um von dort aus über einen kleinen Pass nach Trogir zu fahren. Es kam anders.

Die unterschiedlichen Informationen zu den Abfahrtszeiten der drei Züge, die täglich den Bahnhof in Šibenik verlassen, sind verwirrend. So entscheiden wir uns, schon den 8:09 Zug zu nehmen. Zirka eine halbe Stunde vor der Abfahrt kommen wir am Bahnhof an. Und siehe da, ein alter Dieseltriebwagen steht surrend da. Wir gehen über die rostigen Geleise zum Zug und erblicken im hinteren Teil einen Mann am Rauchen. Wir fragen ihn, ob der Zug nach Perkovic fahre und wir mit unseren Rädern mitfahren können. Er nickt und deutet auf den vorderen Teil des Zuges. Wir schieben unsere Räder an die Zugsspitze – der Zug besteht nur aus einem Wagen – und laden sie ein. Es ist eng. Wohin sollen wir die Velos und das Gepäck stellen? Letzteres in eine Ecke bei der Türe, davor ein Velo und eines nehmen wir mangels Platz ins Abteil. Bis ein paar Minuten vor der Abfahrt scheinen wir die einzigen Reisenden zu sein. Da marschieren drei Frauen mit Wanderstöcken und Rucksack daher, wohl auch Touristinnen. Pünktlich fährt der Zug los. Bald darauf kommt der Bahnbegleiter, bei dem wir unsere Fahrkarten kaufen können. Wir wollen für die Strecke Šibenik – Perkovic Billette lösen. Er versteht uns nicht. Er sagt: „ Šibenik – Split“. Wir: „Nein, Šibenik – Perkovic.“ Ein paarmal geht das so hin und her. Schliesslich entscheiden wir uns für die Variante des Kontrolleurs. Und diese hat sich über alles gelohnt. Die Trasse von Perkovic nach Split mit den vielen z.T. hohen Dämmen, Kurven und Tunnels war ein Bahnerlebnis der besonderen Art (zudem kommen am Nachmittag in den Bergen heftige Gewitter auf). Wir vermuten, dass die kroatische Bahn pro Passagier beinahe einen Beamten hat, denn während der ganzen Fahrt sind nur zwei Personen hinzugestiegen. An jedem Bahnhof hält der Zug an – auch wenn die Fenster und Türen des Bahnhofgebäudes fehlen - und dann erscheint der Bahnhofvorstand und ein weiterer Beamter, der eine rote Fahne schwenkt resp. dem Lokführer das Signal für die Weiterfahrt gibt. Bahnfahren in Kroatien ist ein unvergesslich schönes nostalgisches Erlebnis! 

In Split müssen wir ein neues Schaltkabel für Margrits Velo kaufen. Pech, denken wir, die Läden sind geschlossen wegen dem Nationalfeiertag. Uns ist entgangen, dass uns die Planung der Inselroute noch etwas Zeit kosten wird und dass eine Weiterfahrt gleichentags ohnehin sinnlos wäre. Wir finden ein schönes, ruhiges Hotel in der Altstadt und beschliessen, Split anzusehen und Supetar auf der nahe gelegenen Insel Brac zu besuchen. In Supetar machte Margrit vor über 20 Jahren mit den Kindern Herbstferien und es lag auf der Hand, dieses damals kleine Fischerdorf aufzusuchen. Was finden wir vor? Das Zentrum ist sauber herausgeputzt. Statt der Fischerkähne liegen Jachten im Hafen. Das alte kleine Hotel von damals ist wohl einer riesigen Hotelanlage gewichen, denn wir finden es nicht mehr. 

Auf der Rückfahrt erblicken wir auf der Küste das ehemalige Piratennest Omis, wo im zwölften und dreizehnten Jahrhundert Piraten hausten. Sie verlangten meist Tribut von den vorbeifahrenden Schiffen der Venezier und mussten nicht immer gleich Gewalt anwenden. Erst im 15. Jahrhundert mussten die Seeräuber vor den Veneziern kapitulieren. 

Split – Vela Luka (Insel Korčula) 09.10.2018 Reise mit der Fähre Jadrolinija

Die Fähre fährt erst am Nachmittag. Heute ist Dienstag und der Veloladen ist nach dem Nationaltag wieder offen. Das Geschäft macht uns einen guten Eindruck; sauber aufgeräumt und ein breites Sortiment. Wir finden das Gangschaltkabel – nicht Schimano – und eine Leuchtweste schnell. Somit verfügen wir noch über ausreichend Zeit, den Diokletianpalast, die Krypta und den Jupiter-Tempel zu besuchen. Die feinen Steinhauerarbeiten und die gesamte Architektur mit den riesigen Gewölben beeindruckt uns. Im Rundbau mit der halboffenen Kuppel formieren sich ein paar Männer im Smoking. Sie stellen sich auf und beginnen slawische Volksweisen zu singen. Wunderschöne Stimmen, die durch die Akustik voll zur Geltung kommen. 

Um 15:00 Uhr fährt die Fähre zur Insel Korčula und legt 3 Stunden später im Fährhafen Vela Luka an. Wir freuen uns auf den „Inselhüpfer“ und dass wir bald wieder strampeln können. 



Zavalatica – Korčula (Stadt) 11.10.2018    30.3 km      ↑ 527 m       ↓ 525 m

Route: Zavalatica, Pupnat, Žrnovska Banja, Korčula 

Gestärkt nach einem Frühstück mit Früchten, Flöckli, Joghurt und Brot nehmen wir den ca. 450 m ansteigenden Weg auf die Anhöhe von Žrnovo in Angriff. Wir sind froh, der muffigen Ferienwohnung zu entfliehen. Zuerst führt uns der Weg nach einem kurzen Anstieg auf eine Zwischenebene, die kleinräumig landwirtschaftlich genutzt wird. Wir fahren an Reben, Oliven - und Gemüsegärten vorbei. Gelegentlich treffen wir Bauern an, die mit der Olivenernte beschäftigt sind. Eine Frau singt dazu. Wir finden zwei grössere Becken mit einem Rest von fauligem Wasser, zu denen eine Rampe hinunterführt. Diese dienen wohl der Bewässerung. Woher das Wasser kommt, können wir nicht nachvollziehen. Dann folgt eine wunderbare Panoramastrecke, die sich entlang des Süd-westufers ein paar hundert Meter in die Höhe schwingt. In Žrnovo oben angelangt, zweigen wir ab auf einen Wanderweg, der direkt nach Korčula – Stadt führt. Nach einem Kilometer Holperweg kommt uns eine Frau auf einem Mountainbike entgegen und erklärt uns, dass der Weg echt schwierig zu befahren sei. Wir sollten anstelle direkt an die Ostküste hinunterfahren und dann die Küstenstrasse nehmen, was wir gleich tun. Die Route führt uns über Serpentinen hinunter ans Meer. Dazwischen geniessen wir atemberaubende Ausblicke nach Osten auf die Inseln Hvar und die Halbinsel Pelješac. 

Mit etwas Geduld können wir unsere wunderschöne Ferienwohnung nahe der Altstadt beziehen. In der Nebensaison bewirtschaften die Vermieter die Wohnungen oft durch Leute, die zur Hauptsache woanders engagiert sind. So kann es länger dauern, bis jemand kommt, oder bis man einen Rückruf erhält. 

Auf unserer Suche nach der Fähre nach Dubrovnik stossen wir auf mehrere Personen, die uns widersprüchliche Auskünfte geben. In der Nebensaison fährt die staatliche Schifffahrtsgesellschaft nur noch auf den wichtigsten Strecken. Schliesslich klärt uns ein freundlicher Parkwächer auf, dass eine private Schifffahrtsgesellschaft 200 m hinter dem KONZUM ein Büro betreibe, welches wir dann auch finden und die Tickets kaufen. 


Korcula - Dubrovnik       12.10.18        mit Schiff

Das Schiff nach Dubrovnik ist ein Power-Schnellboot, das die ca. 80 km Fahrt incl. einem Zwischenstopp auf der Insel Mljet in zwei Stunden bewältigt. Wir bleiben drinnen, denn die Scheiben sind von der Gischt verspritzt und es windet einen fast vom Deck. 

Im Hafen von Dubrovnik ankerten schon zwei riesige Kreuzfahrtschiffe- wir befürchten, dass die Altstadt überbevölkert sein wird. 

Über eine Zubringerstrasse gelangen wir zum Haupttor der Altstadt. Wir telefonieren mit der Vermieterin der Wohnung. Sie erklärt uns den Weg zum Appartement. Wir schieben die Räder durch die Menschenmeng entlang der Hauptstrasse (Dubrovnik ist autofrei) bis zur schmalen Gasse, wo es die Treppen hoch zu Vita e Bella, unserem Appartement geht. Wir entladen unsere Räder und tragen das Gepäck 100 hohe Treppenstufende hoch. Im Haus selber befindet sich unsere Wohnung im 

2. Stock. Petra, die Vermieterin, erzählt uns, dass sie noch nie Velofahrer beherbergte und dass in Dubrovnik kaum jemand Velofahre. Verständlich, mit all den Treppen! Für unsere Velos hat sie vor unserer Ankunft einen abschliessbaren Unterstand gesucht, der befindet sich in einem Haus bei der oberen Stadtmauer. Nochmals etwas Krafttraining - diesmal nur 70 Stufen. Nach all der Anstrengung beziehen wir eine geschmackvoll eingerichtete Wohnung, die wir für zwei Tage geniessen können. 

Bevor wir uns in Dubrovnik umsehen können, müssen wir unbedingt nochmals ein Schaltkabel für Margrit’s Velo kaufen – aber wo? Im Tourismusbüro meint die Frau, dass man in Dubrovnik eben nicht Velo fahre und es keine Geschäfte gebe. Velowege entlang der Küste könnten wir auch gleich vergessen. Was für Prognosen…

Hingegen spricht uns eine aufgestellte Amerikanerin an. Sie sagt: „ You are brave. You were so charming, when you carried the bicycles up the stairs. You just made my day!“ Schön, haben wir eine Amerikanerin zum Schmunzeln gebracht. Mindestens die Hälfte der Bevölkerung hat ja in letzter Zeit nichts mehr, worüber sie schmunzeln oder sich freuen können. 

Hungrig und erschöpft gehen wir essen. Gespannt fragen wir den Kellner, wo wir ein Schaltkabel finden können. Welch ein Glück, denn er wusste, wo sein Vater sein Velo flicken liess. Nur, der Velomech sei verstorben aber es gebe einen Laden, der noch Ersatzteile anbiete. Er markiert den Laden auf dem Stadtplan. Der Laden befindet sich ausserhalb der Altstadt. Entlang einer stark befahrenen Strasse begeben wir uns zum Geschäft in der Hoffnung, dass es nicht frühzeitig wegen dem Wochenende schliesst. Der freundliche Herr an der Theke runzelt nach unserem Wunsch die Stirn, geht nach hinten und kommt mit einer Schuhschachtel mit ein paar Ersatzteilen zurück. Schon erblicken wir die gesuchten Kabel und werden sekundenschnell überglückliche Besitzer deren. Ohne diese Kabel könnten wir das dünn besiedelte, hügelige Montenegro kaum befahren.

Nun können wir den Altstadtbummel geniessen: Besichtigung der Kirche St. Blasius, der Kathedrale Maria Himmelfahrt und flanieren durch die engen Gassen. Wie in fast allen Kirchen, die wir in Kroatien besichtigt haben, treffen wir auf Betende. Zu unserer Überraschung beten nicht nur ein paar alte Frauen den Rosenkranz, sondern auf viele junge Leute. 

Zu denken gab uns, dass die Erinnerung an den „Heimatkrieg“, in welchem ca. 150 Leute in Dubrovnik umgekommen sind und die UNESCO-Stadt schwer beschädigt wurde, mit Infotafeln und einer Multimedia-Schau wach gehalten wird. Etwas Mühe haben wir damit, dass die „Montenegrinische - Serbische Armee“ angegriffen hat. 


Ein „velofreier“ Tag in Dubrovnik     13.10.2018

Dubrovnik ist voller Leben: Touristen, die durch die Altstadt bummeln, in den Souvenirläden nach Mitbringsel suchen, ein Eis essen oder sich im Restaurant-Gässchen kulinarisch verwöhnen lassen. Die Stadtmauer, die die Altstadt umrundet und eine Gesamtlänge von 2.6 km aufweist, gehört zu den Hauptattraktionen der Stadt. Wir gehen am frühen Vormittag auf den Stadtmauer-Rundgang. Schon zu dieser Zeit stehen ganze Reisegruppen vor dem Aufgang und ebenso viele laufen entlang der Wehrgänge. Gut, dass der Rundgang nur in einer Richtung begangen werden kann. Wir vernehmen von einer Reiseführerin, dass die Stadtverwaltung sich bemüht, dass die Innenstadt bewohnt bleibt. Das geschieht u.a. damit, dass, wenn jemand sein Haus verkauft, die Stadt das Vorkaufsrecht hat, um dieses so zu subventionieren, dass normale Bürger dieses kaufen können. Sonst würde eine Zweizimmerwohnung 500‘000 € kosten. Meist unterteilen die Käuferinnen die Häuser so, dass mehrere Parteien Platz finden. Ein interessantes Detail ist, dass sich die Küche meist zuoberst im Haus befindet. Dies wegen der geringeren Gefahr von Totalbränden, wenn die Küche Feuer fängt. 

Am späteren Nachmittag fahren wir mit der Garaventa Bergbahn auf den Hausberg, von wo aus wir eine grandiose Aussicht geniessen. Auf unserem Gipfelrundgang können wir auch den Sonnenuntergang erleben. Im Osten und im Süden sehen wir die Berge von Montenegro und Bosnien-Herzegowina. Im Norden sehen wir nochmals die Inseln, die wir befahren haben. Mit Sorge sehen wir auf den starken Verkehr auf der Küstenstrasse D8, auf der wir morgen Richtung Montenegro fahren werden. Unten an der Talstation angekommen stehen viele Taxisfahrer. Wir fragen, ob sie uns zum Flughafen fahren würden und sagen, dass wir von da aus selber weiterfahren möchten. Ein Fahrer bemerkt, dass diese Strasse seeehr gefährlich sei, und dass schon Velofahrer umgekommen seien. Wir sagen, dass wir vom Flughafen die Nebenstrasse der Küste entlang nehmen würden. Da sagt der Eine, dass der Zollposten auf diesem Weg geschlossen sei, womit wir unsere Planung ändern müssen. Wir fragen noch nach dem Preis und entscheiden, dass wir morgen den Bus nach Herceg Novi nehmen werden. 


Dubrovnik – Kotor 14.10.2018         29.5 km      ↑119 m       ↓144 m

Route: Dubrovnik, Herceg Novi (Montenegro), Kotor

Am Morgen tragen wir die Velos und unser Gepäck über Dutzende von Stufen bis zum Nordausgang hinauf. Danach sind wir pudelnass. Dann fahren wir zum Busbahnhof und halten Ausschau nach einem Bus nach Herceg Novi. Wieder mal die gleiche Auskunft: „Erst den Fahrer fragen, ob er die Velos mitnimmt – dann erst das Billet kaufen.“ Wir beobachten, wie sich die Bäuche der Fernbusse schnell mit Koffern füllen. Wir geben unser Vorhaben auf. Wir fragen am Taxistand einen freundlichen Fahrer mit einem relativ kleinen Renault, ob er uns nach Herveg Novi bringen könnte. Er sagt, dass wir mal versuchen sollen, die Velos einzuladen. Schnell wird klar, dass wir die Räder abnehmen müssen. Schliesslich sind wir alle glücklich und der Fahrer fährt uns sehr vorsichtig Richtung Süden. Wir können uns gut unterhalten. Entlang der D8 beobachten wir einen anderen Velofahrer, der sein schwer beladenes Rad über die Leitplanke hievt. Wir haben einen guten Entscheid getroffen!

An der Grenze müssen wir zwei Posten passieren und die lange Autoschlange verrät, dass es noch eine Weile dauert - insgesamt über eine Stunde. Der arme Taxifahrer muss dies nochmals durchstehen. Wir geben ihm am Ende der Fahrt in Herceg Novi noch ein grosszügiges Trinkgeld. Wir sind auf der M2, so heisst die Küstenstrasse hier und wir müssen, bis wir auf die parallele kleine Küstenstrasse wechseln können noch eine Weile den Verkehr aushalten. 

Dann kommt die Belohnung: Jetzt geht’s nahtlos nach Kotor mit einem Unterbruch bei Kamenari, wo wir mit der Autofähre die Meerenge der Bucht von Kotor überbrücken. Unterwegs essen wir Zmittag unter Palmen. Da gesellen sich zwei junge Velofahrer, Ghandi und Charlotte zu uns, die von Chamonix unterwegs sind. Auch sie fahren nach Athen. Es ergeben sich schöne und interessante Gespräche. An der Fähre von Kamenari treffen wir sie wieder und wir fahren ein Stück zusammen. Sie zeigen uns, wie man mit der Selfie-Funktion der Handies Gruppenaufnahmen macht. Da wir uns so ungelenk anstellen, gibt es viel zu lachen. Die Beiden werden vor Kotor zelten und wir finden ein sehr gutes Hotel in der Innenstadt von Kotor. Die Stadt verdient den Namen: „Perle von Montenegro.“ Die Lage in einer tiefen Bucht war früher ein grosser Vorteil für die Schifffahrt und den Handel. Weiter begünstigte der Fuss der Berge deren Befestigung. Eine 4.6 km lange Stadtmauer im hügeligen Gelände konnten die Angreifer – Türken u.a. wohl kaum überwinden.


Ein „velofreier“ Tag in Kotor     15.10.2018

Heute ist die Begehung der Stadtmauer angesagt. Aber bevor wir aufbrechen, müssen wir die Planung der Weiterfahrt nochmals unter die Lupe nehmen. Unsere ursprüngliche Route führt über einen dünn besiedelten Landstrich, was uns Sorge macht. Margrit hat die Idee, eben diesen zu umfahren, indem wir vom Nordende des Skutarisee die 1986 neu gebaute Eisenbahn von Virpazar nach Bar an der Adria nehmen. So hätten wir eine gute Etappierung mit guten Chancen für Übernachtungen und dazu alles auf Nebenstrassen.

Noch gerade im Schatten erklimmen wir dann die 1350 Stufen der Stadtmauer und geniessen eine tolle Sicht über die Bucht und die Stadt. Auch erkennen wir vom obersten Teil der Mauer in der Ferne die Strasse von morgen nach Cetine und dass der Verkehr tragbar erscheint. Oben angelangt finden wir das Loch in der Mauer, durch welches wir den Wanderweg hinunter in die Stadt antreten. Vorher nehmen wir im Bergbeizli noch eine kleine Stärkung ein. Die Stimmung stimmt: Schatten, frischer Käse und Gemüse und Brot. Die Gastgeber bringen die Ware mit einem Esel nach oben. Der vor langer Zeit sehr aufwändig ausgebaute serpentinenförmige Wanderweg lässt die Frage aufkommen, wozu dieser wohl diente? Wir wollen dieser Frage später nachgehen, da wir für die über 1‘100 m Aufstieg von morgen genug Schlaf brauchen. Vor dem Znacht ersetze ich noch das Übersetzungskabel an Margrit’s Velo. 


Kotor – Cetinje 16.10.2018 43.1 km      ↑1184 m (Königsetappe)      ↓562 m

Route: Kotor, Njegusi-Pass, Cetinje

Heute werden wir besonders gefordert, denn eine anstrengende Route steht bevor. Deshalb wollen wir beizeiten losfahren, was nicht ganz gelingt, da ein anderer Tourenfahrer auf uns stösst und das Gespräch sucht. Es ist ein Belgier. Er ist alleine unterwegs. Uns scheint, dass er erschöpft ist und wenig Lust auf die Weiterfahrt im Gebirgsland hat. Schliesslich entscheidet er sich im Restaurant für einen warmen Tee und dann entlang der Küste zu fahren, da er keine Bergstrecken mehr hochfahren will.

Wir verlassen Kotor auf kleinen Nebenstrassen. Bei ca. 150 m oberhalb der Stadt werden wir auf die alte Passstrasse einmünden. An dem Punkt, wo sich die beiden Strassen treffen, unterbricht ein neu erstelltes, bonziges Haus mit Schmiedeisentor die Strasse. Es gibt kein Durchkommen und schon gar nicht, als der Hund das Grundstück verteidigt. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die bezwungenen Höhenmeter zu vernichten und unten eine andere Strasse zu suchen, die uns zur Passstrasse leitet. Diese ist schmal und windet sich mit vierundzwanzig Serpentinen auf den Njegusi-Pass hinauf. Die Strassenführung ist optimal. Die Steigung beträgt maximal 14% und zudem werden wir immer wieder mit einem grandiosen Tiefblick auf die Bucht von Kotor belohnt. Unterwegs überholen oder kreuzen uns einige Autos. Es sind Ausflügler, die zum Nationalpark Lovcen hochfahren. Die Fahrer und deren Insassen können es nicht lassen uns zuzujubeln, bravo zu rufen und mit den Händen aus den Fenstern zu klatschen. Uns wäre lieber, sie hielten das Steuerrad fest, denn wir sehen immer wieder Gedenktafeln mit Blumen, Kerzen und einem abrasierten Stück Mauer. 

In der Konoba auf der Passhöhe stärken wir uns mit Orangensaft, denn nach einer kurzen Abfahrt folgt erneut ein Anstieg von 250 m. Nach dem Passübergang wurde die Strasse kürzlich erneuert, sie ist breit und zweispurig und die talwärts liegende Fahrbahn ist mit Leitblanken begrenzt. Es ist sehr einsam, kaum Verkehr, wir können es sausen lassen. Kurz vor Cetinje mausert sich die neue Strasse zu einer schmalen mit Löchern versetzten. Auffallend sind die beidseitig dicht stehenden Strassenlampen, die von 1 qm grossen Solarpanel gespeist werden. Unsere Unterkunft liegt an der Fussgängerzone in der Altstadt. Sie zu finden, ist eine Herausforderung, denn nicht alle Strassen sind angeschrieben und schon gar nicht die Hausnummern und zudem springt das GPS wie wild hin und her. Wir fragen nach der Unterkunft. Eine Frau schickt uns ins Café New York. Der Kellner kann uns nicht weiterhelfen, aber eine junge Frau, die dort ihr Cola geniesst, weiss wo das Appartement liegt. Sie wohnt im selben Haus und führt uns zur gefragten Adresse. Wir haben nicht vorgebucht und müssen noch anfragen, ob es frei ist. Unsere Begleiterin übernimmt dies für uns. Beim Verabschieden wollen wir ihr ein Trinkgeld geben, sie will partout nichts annehmen. Die Vermieterin kommt schnell von der Arbeit, zeigt uns ihr schönes Appartement, das wir gleich beziehen und bezahlen. 25£ die Nacht (Hotels gibt es hier keine).

Schon bald flanieren wir entlang der Fussgängerzone und halten Ausschau nach einem Restaurant. Die Stühle vor den Restaurants sind leer, es ist zu kalt um draussen zu sitzen – selbst den hartgesottenen Montenegriner. Dafür halten viele freilaufende Hunde Wache über das Geschehen. Wir treten in eine Pizzeria ein und sind ganz erstaunt, dass hier drinnen geraucht wird. Schade, haben wir schon geduscht, aber die Menükarte sieht gut aus. Ein kleiner Junge, der mit seinem Vater isst, zielt mit einem Laserpointer auf die Gäste und freut sich am roten Punkt auf deren Nase. Niemand nervt sich daran… 
Es ist empfindlich kalt, als wir die Pizzeria verlassen.

Cetinje war einst die königliche Hauptstadt Montenegros. Prachtvolle Renaissancepaläste und Botschaften sowie der Sitz des Montenegrinischen Präsidenten befinden sich hier. Das sind die herausgeputzten Quartiere der Stadt. 


Cetinje - Godinje                 17.10.2018         44.9 km      ↑531 m     ↓1111 m

Route: Cetinje, Rijeka Crnojevića, Virpazar, Godinje 

Am Morgen wärmt die Sonne herrlich und wir schauen uns die Stadt nochmals an. So finden den Präsidentenpalast und ein Paar Botschaften. Die Stadt wirkt etwas freundlicher, als am Abend. Auch Bundesämter und staatliche Museen sind hier. Die Hunde räkeln sich faul in der Sonne und v.a. Männer sitzen schon in den Cafés herum. Ev. ist die Arbeitslosigkeit hoch. Ein Megaprojekt von einer Sporthalle passt u.E. schlecht in diese Kleinstadt. Wir finden noch deren noch mehr.

Dann geht’s entlang der E 2,3 (nach Podgorica) mit viel Verkehr, bis wir auf die alte Landstrasse ausweichen können, worüber wir sehr froh sind. Aufwärts fahren neben stinkenden Vehikeln ist sehr unangenehm. Auf der alten Landstrasse, die vielerorts eher einer Schotterpiste gleicht und wo über Abgründen die Leitplanken meist fehlen, fahren wir hinunter bis nach Rijeka Crnojevića einem malerischen Ort, den uns die Vermieterin sehr empfohlen hat. Es geht ca. 700 m hinunter. Wir schauen die alten Brücken und den serpentinenförmigen Fluss Crnojević, der Teil des Skutarisee-Nationalparks ist, an und geniessen ein Zmittag in einem Beizli.

Danach sind wir velomässig gefordert. Im Auf und Ab fahren wir nach Virpazar und strampeln ca 480 m hoch. Die Strasse ist auch wieder sehr einsam. Nach Poseljani entdeckt Margrit einen grossen braunen Haufen auf der Strasse – wohl von einem sehr grossen (braunen) Tier, das Beeren über alles liebt. Gut war er etwas vor uns hier, denn die Strasse war da besonders abschüssig, um auszuweichen... 

Auf dem letzten Pass stärken wir uns, da wir noch ein Stück bis zur Unterkunft fahren müssen. Beim Abstieg nach Virpazar ist die Aussicht auf den Skutarisee grandios. Unten im malerischen Dörfchen angekommen quatschen uns gleich drei Leute an wegen Übernachten und Bootstouren. Wir fragen nach dem Preis, fahren dann weiter zur Unterkunft, die wir schon telefonisch reserviert haben. So müssen wir nochmals ca. 100 m hochstrampeln, bis wir nach 5 km zu unserem Agrotourismo kommen, wo uns Anna freundlich in schlechtem Englisch begrüsst. Das Zimmer ist tiptopp und um 7 Uhr tischt sie den Znacht auf – spannend, was man in so abgelegenen Gegenden denn so isst? Kohlsalat, in Essig eingelegte gewürzte Pepperoni, scharfen Schafskäse und eine grosse Platte eher fettige Lammrippli mit Pommes-frites. Dazu serviert sie uns ihren eigenen sehr jungen Rotwein, der recht süffig ist. Es war ein herrlicher Tag.


Godinje - Bar                18.10.2018         mit dem Zug

Nach einem einfachen Frühstück mit scharfem Schafskäse und Gemüse studieren wir nochmals die kommende Etappe über die P16 von Godinje nach Skodara (Albanien), was eine wahrhaft schöne Strecke entlang des Seeufers werden könnte. Da wir nach den vergangenen Etappen sehr ermüdeten und wieder eine Berg-und-Talfahrt mit gegen 1200 m Höhendifferenz ansteht, entschliessen wir uns, mit der Bahn von Virpazar nach Bar an der Küste zu fahren. Beim Verlassen des Hauses ist der Bauer mit einem Freund bereits an einem Rakj (Art von Grappa). Die Fahrt zum Bahnhof ist kurz. Anders, als ein Blogger (Der Bahnhof sähe aus, wie nach einem Krieg und Züge würden wohl keine fahren) schrieb, ist der Bahnhof belebt. Es ist eine wichtige Verbindung von Belgrad und Podgroica zur Hafenstadt Bar, wo es wohl Arbeit gibt und die Schüler nach Sutomore fahren. Mit zehn Minuten Verspätung kommt ein Regionalzug – ähnlich unseren Kolibri-Kompositionen eingefahren. Wir müssen alles, Velo mit Gepäck auf das schmale Perron hieven und dann im Zug verstauen. Die Vorständin ruft etwas, wie: „Dali, Dali.“ Die Fahrt durch das Vorgebirge mit einem langen Tunnel ist schnell vorbei und wir sind im sehr mediterranen Städtchen Bar angekommen. Da ein kalter Ostwind weht, der uns an den Abenden vorher frösteln liess, geniessen wir die Wärme an der Adria. Wir finden schliesslich ein schmuckes Hotel, etwas abseits, wo am Abend nur Grillen zirpen und Hühner gackern. Wir werden freundlich empfangen – anscheinend sind wir die einzigen Gäste. Man merkt es schon, dass man die Dusche fünf Minuten laufen lassen muss, bis das Warmwasser kommt. Unsere Velos dürfen wir in einem Speisesaal abstellen.
Die Weiterfahrt nach Skodra sieht auch hindernisreich aus. Keine Unterkünfte, um die Etappen zu kürzen und wieder „Höger.“ Weiter könnte die Passkontrolle nach Albanien sehr lange dauern, was dazu führen würde, dass wir nachts (es wird schon um 18 Uhr dunkel) fahren müssten, wovon das EDA sehr abrät. Wir werden morgen versuchen, ein Taxi bis zur albanischen Grenze anzuheuern. 


Ein „velofreier“ Tag in Bar     19.10.2018

Diesmal hat es Margrit mit einer Bauchgrippe erwischt und schnell wird klar, dass wir noch mindestens einen Tag in Bar verbringen werden. Ich nutze die Gelegenheit, den Blog besser zu strukturieren und die Reiseroute in Albanien etwas zu planen. Beim Frühstück versuche ich, die Morgenlektüre zu entziffern - einzig die Bilder sagen mir was...

Am Abend ist Margrit’s Temperatur wieder normal.


Bar – Shkodra (Albanien) – teilweise mit dem Taxi 20.10.2018 15 km flach

Route: Bar, Sukobin, Muriqan, Shkodra

Nun sind wir beide wieder fit für die Etappe nach Albanien. Es lohnt sich kaum, alles Gepäck auf dem Velo zu befestigen, denn wir fahren zum nächsten Taxistand, der etwa 700 m vom Hotel entfernt ist. Die ganze Reise mit dem Velo nach Shkodra ist für mich, wegen der Magen-Darm Geschichte, zu anstrengend. Wir nähern uns dem Taxistand und sehen einige Taxis stehen, einer sogar etwas geräumiger als die andern. Der Fahrer mit dem Renault Kangoo bekommt den Zuschlag. Er fährt uns  bis zur Grenze. Gerade vor dem Grenzposten entladen wir unsere Sachen und machen uns bereit für den Übertritt. Ein Zöllner kommt auf uns zu und weist uns an den Autos vorbei direkt zu einem Schalter. Der Beamte prüft unsere ID, lächelt, gibt sie zurück und deutet mit dem Daumen nach oben. Wir sind in Albanien angekommen, darauf habe ich mit Spannung und Vorfreude gewartet. Obwohl die SH 41 die einzige Strasse ist, die von der Grenze nach Shkodra führt, gibt es hier nur sehr wenig Verkehr. Die Strasse ist sehr gut ausgebaut und Unterhaltsarbeiten sind im Gang. Wir sind gespannt, ob dies ein Vorgeschmack auf die kommenden Kilometer in Albanien sind? Einzelne Autos überholen uns, sie halten einen grosszügigen Sicherheitsabstand zu uns ein, was sehr schätzen. Bald wird uns klar, wieso dem so ist: Es gibt sehr viele Velofahrer auf den Strassen rund und in Shkodra. Stadteingangs verlassen wir die Hauptstrasse, stellen aber schnell fest, dass ein Vorwärtskommen eher mühsam ist. So kehren wir wieder auf die Hauptstrasse zurück, die kaum zu glauben, sogar einen Velostreifen hat. Das haben wir in unseren kühnsten Vorstellungen nicht erwartet! 

Das Stadtbild Shkodra ist noch immer von trostlosen Wohnblöcken aus kommunistischer Zeit, weiten Strassen, aber auch verwinkelten Gassen mit hohen Hofmauern geprägt. Im Zentrum sind in jüngster Zeit einige neue Hochhäuser und Gotteshäuser entstanden. Wir hören in kurzen Abständen den Muezzin rufen, derweil fast gleichzeitig eine christliche Prozession durch die Strassen zieht. 

Die Fussgängerzone, ein zentraler Strassenzug mit historischen, städtischen Häusern wurde wiederhergestellt und zu einer Flanierzone umgestaltet. „Sehen und gesehen werden“, die Einheimische nutzen dies am Abend und zwar schön gekleidet und herausgeputzt. Erinnerungen an das Buch von Lindita Arapi „Das Schlüsselmädchen“ werden in mir wach. Sie beschreibt das Leben eines kleinen Mädchens aus kommunistischer Zeit in einer albanischen Kleinstadt, deren Bewohner auch hübsch gekleidet am Abendgiro teilnehmen (mussten). 


Ein (fast) „velofreier“ Tag in Shkodra   20 km  21.10.2018

Wir starten zur alten Brücke von Mes (Ura e Mesit) die nur 7 km nordöstlich von Shkodra den Fluss Kir überbrückt. Die Fahrt führt über eine Hauptstrasse und wir erleben, wie Autos, Velofahrer und Pferdefuhrwerke sich die Strasse teilen. Es geht besser als gedacht – nur muss man immer auf die fehlenden "Dohlendeckel" aufpassen. Die Schönheit der Brücke von Mes beeindruckt uns mit ihren Bögen. Die Umgebung mit einer Industrieruine und einer Betonbrücke, bei der die Geländer abbröckeln gibt zusammen mit den düsteren Wolken über den Bergen im Hintergrund eine spezielle Stimmung. Wir kommen beim Fotografieren mit einer netten einheimischen Familie ins Gespräch. Sie sprechen sehr gut Englisch und wir erhalten einen guten Einblick in ihr Leben. Schliesslich laden sie uns ein, sie in Tirana zu treffen auf unserer Weiterreise. Der Mann klettert in einen verlassenen Garten und pflückt ein paar wilde Granatäpfel, von denen er uns welche zum Genuss anbietet. Wir essen diese zusammen und er erklärt uns, wie gesund diese seien. Sie sind etwas sauer.

Auf unserer Weiterfahrt über Nebensträsschen mit vielen Löchern kommen wir an eine Abzweigung, wo wir uns orientieren. In einem Lebensmittelladen kommt ein freundlicher Mann heraus und deutet uns an, dass die Strasse nach Shkodra nach links abbiege. Eh wir es versehen, lädt er uns zu einem Raki (Grappa) in seinen Laden ein und nach zehn Minuten ist die halbe Familie versammelt. Sofort ruft er seinen Sohn, der Englisch spricht und so kommt eine kleine Unterhaltung zustande. Etwas müde von den Eindrücken und von den Gesprächen entscheiden wir uns, den empfohlenen direkten Rückweg zu nehmen, statt noch eine Schleife über die Bleimoschee zu machen. Im schicken Kaffee von gestern nehmen wir noch einen Tee, um uns aufzuwärmen.
Eine Spezialität ist die Anhäufung von Mercedes-Sternen, Audi-Ringen und VW-Logos in Shkodra. Eventuell kommen wir noch darauf, was es in sich hat.

Zurück im Hotel geht’s ans Packen für den morgigen zweitägigen Ausflug in den Theth Nationalpark . 


zweitägiger Ausflug in den Theth Nationalpark        22.-23.10.2018

Heute Morgen stehen wir früh auf, der Fahrer holt uns schon um 7:30 Uhr ab. Im Hotel haben sie für uns zwei Frühstücksbeutel bereit gemacht. Pünktlich fährt unser Landrover vor und ein ungepflegter Mann mit Zigarette im Mundwinkel deutet uns, unser Gepäck einzuladen und Platz zu nehmen. Oha, was erwartet uns da während den nächsten 2 ½ Stunden?

Zuerst fahren wir auf der Hauptstrasse entlang dem Ostufer des Skutarisees. Dann schwenkt der Weg nach Nordosten ab hinein in die Berge. Grosse Lavendelfelder lassen uns in der Provence wähnen. Ein riesiges Gefängnis etwas weniger... Unser Fahrer, der soeben ein Polizeiauto mit hohem Tempo überholt, denkt wohl nicht, dass er hier landen könnte. Bald werden die Berge höher, als wir dem Theth Nationalpark näher kommen. Die Berge im Länderdreieck von Kosovo, Montenegro und Albanien sind die höchsten von Albanien. In Bogo, auf halbem Weg, stoppt der Fahrer und macht eine Geste, die heisst, dass wir hier Kaffee trinken können. Der Fahrer kann tatsächlich sprechen, das stellen wir fest, als er sich mit dem Wirt unterhält. Er kann sogar lächeln in der geeigneten Gesellschaft. Der Wirt und ein paar Gäste trinken zusammen einen Raki und wir beschliessen, es ihnen gleich zu tun, um den kommenden Haarnadelkurven und Abgründen etwas mutiger entgegenzusehen, was sich lohnen sollte. Als wir den anderen Raki-Trinkern zuprosten, glauben wir, einen lockeren Schimmer über das Gesicht unseres Fahrers streifen zu sehen, der aber sogleich wieder erlischt. Dann geht’s in die richtige Bergstrecke. Der Anstieg auf ca. 1400 m. ü. M ist noch erträglich, da kürzlich Leitplanken installiert wurden und die Strasse frisch geteert wurde. Oben beim Pass gibt’s einen Fotohalt. Wir sehen ins Tal von Theth hinunter, das 700 m unter uns liegt. Es liegen weisse Wolken über der Talsohle, was von oben gespenstisch anmutet. Dann wechselt die Strasse in eine schmale Schotterpiste, die sich in engen Serpentinen über Abgründen hinunter windet. Wir atmen auf, als die kahlen Berghänge wieder bewaldet sind und wir malen uns aus, dass diese Bäume - wohl gleich Leitplanken - unser Gefährt im Sturz etwas aufhalten könnten. Nach einer empfundenen Ewigkeit erreichen wir endlich die Talsohle von Theth und der Fahrer dreht das Autoradio auf volle Lautstärke, um die Wirtin unseres Gasthauses wohl aus dem Haus zu locken. Er selbst macht zuerst keine Anstalten, das Auto zu verlassen. Mit wilden Gesten deutet er uns, auszusteigen und das Gepäck auszuladen, was wir tun. Dann kommt uns die Tochter der Wirtin entgegen – auch etwas schnauzig – und zeigt uns den Essraum und das Zimmer. Der Fahrer drückt ihr ein paar kleine Nötli in die Hand, wohl die Kosten für unsre Halbpension. Ich fragte sie nach einer Karte der Gegend und sie drückt mir eine zerfledderte Karte in die Hand, die wie eine Wanderkarte aussieht. Das Pech: die Teile von Theth waren herausgerissen. Zum Glück habe ich das GPS dabei mit einer detaillierten Karte und wir machen uns auf einen Rundgang im Dörfchen und seiner Umgebung. Es kommt uns vor, als wäre hier die Zeit vor hundert Jahren stehengeblieben. Wir erinnern uns an das, was der Reiseagent uns über Theth erzählte. Tatsächlich haben wir in den beiden Tagen einiges davon besucht. Wir lassen die Bilder darüber sprechen. Gespannt sind wir auf den Znacht im Gasthaus. Nach unserer Erfahrung im Agroturismo in Montenegro rechnen wir mit fettigem Lammfleisch. Wir werden positiv überrascht: Bei Spaghetti, Yoghurt mit Gewürzen, Pommes und relativ magerem Lammfleisch entfaltet sich unser Appetit voll. Es wird recht gemütlich mit den anderen Gästen, die von einer Gewalts- Bergtour über den Pass von Valbavona kamen. Draussen ist es inzwischen sehr kalt geworden und wir verziehen uns schnell ins Zimmer, wo ein Elektroofen dafür sorgt, dass die Kälte auszuhalten ist. Im Nachbarzimmer finden wir zusätzliche Decken und schon bald fallen wir in einen tiefen Schlaf. 

Am Dienstagmorgen entspricht das einfache Frühstück auch unseren Erwartungen. Bis der Taxi uns um Zwölf abholt, durchstreifen wir die Umgebung auf der anderen, nördlichen Seite des Zentrums auf der Suche nach dem historischen Ort der ersten Siedler. Da die Bauern überall Tiere auf kleinen Weiden halten, verstellen uns viele Zäune aus Zweigen den Weg. Wir geben das Unternehmen auf und kehren wieder zum Gasthaus zurück. Da treffen wir wieder unsere Wanderer von gestern mit denen wir gemeinsam zurück in die Zivilisation fahren. Die Fahrt ist diesmal etwas weniger furchterregend, obwohl der Fahrer sich wieder distanziert verhält. Glücklich erreichen wir unser Hotel, wo wir nach zwei Tagen wieder eine warme Dusche geniessen.


Shkodra - Lezhe                 24.10.2018         63,7 km      ↑100 m     ↓111 m

Route: Shkodra, Bushal, Barbullush, Gjader, Balldreni, Lezhe 
Wir freuen uns auf die heutige Etappe, die uns nach Lezhe führt. Anstelle der „Bergrücken-Route“ entschliessen wir uns für die „Gemüse-Route“. Erstere konnten wir nicht mit Streetview erkunden, dafür aber letztere und die macht einen "velofreundlichen" Eindruck und der Zustand der Strasse scheint gut zu sein. Bevor wir Shkodra verlassen, kaufen wir noch Früchte und zwei Brötchen. Die Brötchen kosten 2 Rappen und die vier Mandarinen und der Apfel 5 Rappen. Wenn wir uns vorstellen, wie lange der Bäcker oder der Gemüsehändler arbeiten muss, damit er sich eine Wohnung für 100 Euro leisten kann, dann… Wie uns die auskunftsfreudige Frau an der Rezeption mitteilte, kostet eine 2-Zimmerwohnung etwa so viel. 

Unsere Strasse ist in einem fast perfekten Zustand – nur die Schachtdeckel fehlen. Dafür glitzern in weiten Kurven und das auch in der Ebene neue Leitblanken. Überhaupt scheinen diese im Trend zu sein, denn zurzeit werden entlang vielen Strassenrändern - egal ob Hang oder Ebene - solche montiert. Der feine Strassenbelag lässt uns schnell vorwärts kommen, so schnell, dass wir uns verfahren und dies erst einige Kilometer später bemerken. Die gut ausgebaute Strasse führt in eine Sackgasse! Es gibt nichts als umzukehren. Zwei weitere Tourenfahrer radeln ebenfalls entlang der Strasse, die irgendwo im Nirwana endet. Es sind Ghandi und Charlotte, die beiden aus Frankreich. Wir freuen uns über unser Wiedersehen und haben eine Menge auszutauschen. Gemeinsam fahren wir zurück auf den Track, der uns nach Lezhe führt. 

Heute sichten wir sonderbare Auswüchse, die unter der Herrschaft von Enver Hoxha entstanden sind. Im kommunistischen Albanien wurden damals an die 200.000 Bunker erstellt. Die Bunker sollten der Verteidigung des Landes im Falle einer Invasion durch ausländische Truppen dienen. Die überall sichtbaren runden Bunker haben heutzutage andere Funktionen z.B. als Geräteschuppen, als Gartenhäuschen oder auch, um die Kuh beim Grasen anzubinden.


Lezhe - Kruja          25.10.2018         28.5 km      ↑194 m     ↓261 m

Route: Lezha, Manati, Marka, Tomaj, Milot, Lac, Mamurras mit dem Velo, danach von Mamurras bis Kruja mit Taxi

Beizeiten verlassen wir Lezha. Wir fahren auf der Hauptstrasse SH 39, die uns entlang eines Bergrückens durch kleine Dörfer bis nach Mamurras führt. 

Das EDA empfiehlt, nicht in der Dunkelheit zu fahren. Ein weiser Ratschlag, denn oft sind weder die Dörfer noch die Strassen beschriftet. Hinzu kommt auch, dass immer wieder mit Strassenschäden zu rechnen ist. Fazit: Auch bei Tageslicht und wenig Verkehr beansprucht uns das Vorwärtskommen auf der Strasse. 

Bei Laç fahren wir an einer immensen Industrie-Ruine vorbei. Die Fabrikschlote rauchen schon Jahre nicht mehr. Diesen Job haben die in Café-Bars herumsitzenden, arbeitslosen Männer übernommen. In Mamurras entscheiden wir uns, für die nächsten 26 km und 600 Höhenmeter ein Taxi zu nehmen, denn wir müssen noch unbedingt den morgigen Tag nach Tirana planen und zudem wollen wir noch bei Tageslicht in Kruja ankommen und das Bergdörfchen besichtigen. Im Hotel angekommen, sehen wir die Moschee mit dem Minarett und wir müssen nicht lange warten, bis der Muezin sein Gebet singt.

Bei der alten Stadtmauer hat sich die Tochter von Enver Hoxha ein Denkmal mit einem Museum gesetzt. Darin wird Skanderbeg verehrt. Er hat die Türken abgewehrt, also quasi der Wilhelm Tell der Albaner. 

Schliesslich haben wir mal km-Buchhaltung gemacht und bemerkt, dass wir nicht mehr lange in Albanien bleiben können, wenn wir Weihnachten wieder mit unseren Liebsten feiern möchten. Wir realisieren, dass wir im hügeligen, z.T. dünn besiedelten Land zunehmend Mühe haben, Etappen und Unterkünfte zu planen.

So entschliessen wir, den Mittel- und Südteil von Albanien mit einem Mietwagen in wenigen Tagen zu erkunden.


Kruja - Tirana               26.10.2018         45 km      ↑216 m     ↓672 m

Route: Kruja, Fushë-Kruja, Budull, Berxulle, Laknas, Tirana

Wir geniessen die Fahrt von Kruja hinunter in die Ebene. Wieder heisst es aufpassen wegen Löchern und fehlenden Dohlendeckeln. In der Ebene finden wir überall kleine Strassen und Feldwege, so dass wir mühelos bis nach Tirana kommen. Kleine Dörfer säumen den Weg bis es im letzten Stück vorstädtisch wird. Nur einmal kommen wir ins Schwitzen, als wir die vierspurige Hauptarterie A1 in der Stadt überqueren müssen. Der Mittelstreifen ist so schmal, dass Vorder- und Hinterräder in den Verkehr hinausragen. Was machen? Beherzt schaue ich einem Lieferwagenfahrer in die Augen, strecke die Hand aus und – oh Wunder – er hält wie die Autos auf der zweiten Spur. Später fahren wir dem ausgedienten Bahntrassee entlang – schade, sie haben die Bahn einfach aus der Stadt verdammt und anstelle des Bahnhofs eine Promenade gebaut. So fällt die Option Bahn in Richtung Süden ins Wasser. Später wird eine Quartierstrasse sehr stark belebt, was uns überrascht. Es ist ein Autokorso anlässlich einer Beerdigung. 

Unsere Bekannten, die wir an der Mes-Bridge kennengelernt haben, bestätigen diese Tradition, als sie uns am Abend zum Essen einladen. Das feine, reichhaltige Essen kommt von einem nahen Bauernhof, wo sie auf gesunde Produkte achten. Wir haben eine gute Zeit zusammen und wieder erfahren wir viel über ihr Land und Leute, beispielsweise, dass Albanien am meisten Erdöl von Europa hat - die Vorräte in der Adria noch nicht mitgerechnet. Die Albaner sind ein stolzes Volk, wenn sie auch Mühe mit der Situation haben. Als es zum Zahlen ging, haben wir keine Chance, sie einzuladen.  


Ein „velofreier“ Tag in Tirana     27.10.2018

Am Vormittag prüfen und fixieren wir das Angebot für ein „one-way-rental“ Auto Miete, das uns unser Bekannter eingefädelt hat. Wir sind zufrieden und sind gespannt, wie wir morgen um zehn aus der dichten Stadt herausfahren werden.

Und nun steht ein ausgedehnter Stadtbummel an. Wir beginnen mit dem belebten Skanderbeg-Platz und sind sehr überrascht über die aufgeputzte Innenstadt mit vielen Pärken und Fussgängerzonen. Bevor wir die „Pyramide“, ein Monument des früheren Diktators Enver Hoxha aufsuchen, nehmen wir in einem lauschigen Kaffee etwas Kleines. Die freundliche Wirtin übersetzt geduldig die Speisekarte und verneint, dass sie auch Suppen serviere. Na, das kennen wir von früher: „It is not on the LIST“. Ich kriege ein feines, vorgewärmtes Vegi-Sandwich und Margrit gelüstet es nicht mehr, etwas zu essen. Nach zehn Minuten kommt die Wirtin und bringt Margrit eine reichhaltige Gemüsesuppe, die vorzüglich schmeckt. 

Eine Gruppe Chinesen mit Sonnenschirmen weist uns den Weg zum kommunistischen Monument Pyramide – ja sie haben die Albaner früher stark unterstützt und auch heute bestehen noch Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern.

Der Zustand der Pyramide überzeugt uns, dass diese Zeit vorbei ist. Das Monument erinnert uns ein wenig an die Reithalle Bern.

Zurück auf dem Skanderbeg-Platz nehmen wir nochmals Kenntnis von der Reiterstatue des gleichnamigen Nationalhelden, der die Türken während seiner Lebzeit von Albanien fernhielt. Gleich daneben finden wir die grosse Moschee, die davon zeugt, dass die Osmanen nach Skanderbegs Tod das Land in Besitz genommen haben.


Tirana – Berat (mit Mietwagen)              28.10.2018         ca. 150 km

Route: Tirana, Elbasan, Cerrik, Kuçova, Berat

Wir haben ein Auto für vier Tage gemietet, um einen Vorsprung auf unserer Route zu erzielen und um Landstriche in Mittelalbanien zu überbrücken, in denen es keine Unterkünfte gibt. Wir haben die Nacht unruhig verbracht, da wir (ich am Steuer mit der aufmerksamen Assistenz von Margrit) noch keine Erfahrung am Steuer im dichten, wilden Verkehrsgewühl von Tirana haben. Pünktlich bringt der Vermieter den VW-Caddy und die Übergabe erfolgt sauber und professionell, dass wir alles schnell incl. den Velos gäbig im Auto verstauen können. Wir haben die Route schon aufs GPS übertragen und wir sind die ersten paar 100 m zu Fuss abmarschiert, um gleich zu beginn richtig einspuren zu können. Die Fahrt über die Autobahn A3 und die SH3, da wo einzelne Strecken noch fehlen, war dann relativ erholsam. Gewöhnungsbedürftig sind die Löcher am Rand der Landstrasse, die man trotz Gegenverkehr nicht aus den Augen lassen darf. Zum Glück haben sie die SH58 nach Elbasan neu gebaut und die Fahrt wird locker und zügig. Einzige Spezialität beim Navigieren: die neue Strasse weicht stellenweise von der Landkarte ab und zweimal mussten wir umkehren.

In Kuçova, einer trostlosen Stadt mit verrosteten Erdölbohrtürmen und – Pumpen machen wir in einem Kaffee halt. Wie in Laç finden wir gleich im Zentrum eine gewaltige Industrieruine, die aus der Zeit der Blüte der Erdölförderung stammt. 

Nach kurzer Fahrt erreichen wir die historische, UNESCO-Welterbe - Stadt Berat. Im Glauben, durch ein enges Gässchen zum Hotel zu fahren, folgt gleich die Ernüchterung: Arbeiter reparieren die Strasse und mit Glück finden wir eine Parklücke. Das Gepäck schleppen wir über die Baustelle und die Frau von der Reception entschuldigt sich, dass sie nichts von den Bauarbeiten erfahren hat.

Wir besichtigen die historische Altstadt mit den Häusern, die für den Südbalkan typisch sind. Die Erker, die feinen Vordächer und die Fensterfronten mit den vielen kleinen Fensterchen beeindrucken uns. Etwas mehr Unterhalt würde den meisten Häusern gut tun...
Hungrig suchen wir ein Restaurant auf, wo wir uns bei einer Suppe und Ofengemüse stärken. Glücklicherweise spricht die junge Frau, die uns bedient, Englisch. 


Berat - Orikum bei Vlroë (mit Mietwagen)              29.10.2018         ca 120 km

Route: Berat, Fier, Vlroë, Orikum

Fahrt durch flacheres Land im Viose-Tal und Hügel. Neben – diesmal eher grossräumiger Landwirtschaft, wie im Seeland, finden wir viele veraltete, meist ausrangierte Ölförderanlagen. In einem Umweltbericht steht, dass bei der Produktion 5 – 7 % des geförderten Öls im Boden versickerten und das Wasser verseucht ist. Die Raffinerien sind seit 2016 alle stillgelegt und die Arbeiter gingen oh. Entschädigung aus. Die schwachen Gewerkschaften konnten nicht viel helfen --> engl. Artikel: „State of the Albanian refineries: debt, corruption and bankruptcy.“  Nun versuchen u.a. Chinesen, das brach liegende Förderpotential wieder zu nutzen. Siehe Wikipedia-Artikel u.a. über Öl. Wer ist wohl der Gewinner dieses Spiels? Nicht besser ist der Zustand der Minen und der Verhüttung. 

Wir haben eine repräsentative Mischung von Strassen: Zuerst Hauptstrassen ohne Löcher, später mit Löchern, so dass man gelegentlich auf die Gegenfahrbahn ausweichen muss. Schliesslich kommen wir auf die neue Autobahn A4, die wir fast für uns alleine haben. So gelangen wir nach Vlorë, wo wir meinen, unser Hotel schnell zu finden. Auch dieses Mal, wie schon in Leshe, schickt uns das App an komische Orte und wir realisieren, dass Google-Maps Adressen wegen der fehlenden Hausnummern nicht finden kann. So fahren wir recht weit – immer nach dem Regina-Hotel ausschauend. Da ist es und wir checken ein. Die Rezeptionistin meint, wir wären im gleichnamigen Hotel – aber 10 km vom ersten entfernt. Sie bucht aber um und wir sind happy.

Beim Bloggen ist ist der PC-Bildschirm um 17:11 das hellste im Zimmer und das Internet ist weg. Ahaa, ein Stromausfall, der ca. 20 Minuten dauert. Hier wird’s schneller dunkel, als bei uns. Ich gehe in die Lobby, um nach einer Lampe zu fragen. Denkste, die Dame, die englisch kann, ist nicht mehr da. Alle sitzen seelengemüthlich in den Sesseln wie wenn nichts wäre. Ich versuche mit dem Google-Translator meine Bitte auf Albanisch zu übersetzen – da kommt das Licht wieder. 


Orikum - Sarandra (mit Mietwagen)              30.10.2018         ca. 120 km

Route: Orikum, Llogara-Pass, Porto Palermo, Saranda 

Heute beginnt der Tag mit Sturm. Die Wellen in der Bucht von Orikum schäumen. Die Bäume biegen sich im Wind und die Regenwolken hängen tief. Immer wieder fällt der Strom aus. Der Sturm soll die Ursache dafür sein. Wir geniessen ein feines Frühstück als einzige Gäste. Sie servieren eine wunderschöne Früchteplatte, Spiegeleier, weiche Eier, Fetakäse, Brot, Butter und Honig. Zum Glück läuft die Kaffeemaschine im richtigen Moment - aber nicht lange, denn schon ist der Strom wieder weg. Wir erfahren noch, dass der Speisesaal im Sommer voll ist und dass die Gäste aus Schweden, Russland und Deutschland kommen. Wir denken schon gar nicht, unser Gepäck drei Stockwerke mit dem Lift zu transportieren und beginnen mit dem Hinuntertragen. Eine Putzfrau und der Chef helfen uns spontan und freundlich. Irgendwie sind die Stromausfälle den Leuten peinlich, doch beim Verabschieden sagen sie, dass „eben Albanien“ so sei.

Bald gehts hoch zum 1027 m hohen Llogara-Pass und den gleichnamigen National Park bei Regen und starkem Wind. Pinienwälder säumen die recht gute Strasse, die sich in engen Serpentinen hoch – und wieder runter windet. Die Strasse SH 8 wurde für den Tourismus an der südalbanischen Riviera im 2008 erneuert. Im Gegensatz zur Schweiz verzichten die Albaner auf Kunstbauten. Sie bauen nur kleine Brücken über Flüsschen und Wendeplatten in Kurven, ansonsten folgt die Strasse der Landschaft. Ein paar Mal müssen wir kleinen Felsbrocken und Tieren auf der Fahrbahn ausweichen. Auf der Passhöhe machen wir eine Verschnaufpause. Wir gehen ins dunkle Panorama-Restaurant hinein und fragen nach Kaffee. Kein Problem, allerdings gäbe es nur türkischen Kaffee wegen dem Stromausfall. Der Kellner weist uns zum Fenster und zur Veranda, von wo wir eine grandiose Aussicht auf das ionische Meer und – wenn die Wolken sich verziehen würden – bis nach Korfu und Italien hätten. 

In Porto Palermo machen wir Mittagspause mit Spaghetti und feinem Gemüse. Das TV zeigt ein griechisches Programm für Griechen in Albanien - bis der Strom ausfällt. Stolz sagt der Kellner, dass er Grieche sei. Glücklich erreichen wir Saranda und der Hotelier hilft uns wieder spontan, das Gepäck in den zweiten Stock hinaufzutragen, wo wir ein schönes Zimmer mit Blick auf die Bucht für die nächsten zwei Tage bewohnen. 


Ein „velofreier“ Tag in Saranda        31.10.2018

Mit dem Auto kämen wir zwar schneller vorwärts, aber die starke Erkältung, die wir eingefangen haben, hindert uns daran.
Kurz: Mit der Umsetzung unserer Pläne hapert es.
Das Bergdorf Gjirokastra zählt seit 2005 zum UNESCO Welterbe und gehört zu den 10 Top Sehenswürdigkeiten von Albanien. Leider reicht unsere „Autofahr-Energie“ nicht bis dorthin. Somit können wir den Geburtsort des ehemaligen Diktators Enver Hohxa und von Ismail Kadare, Albaniens berühmtestem Schriftsteller, nicht besuchen. Von Ersterem haben wir auf unserer Reise unzählige Bunker gesichtet und in Gesprächen mit Landsleuten viel von ihm gehört. Kadare hingegen verwebt in seinen historischen Romanen das Leben in totalitären Regimen.
Und nun sind die vier Tage abgelaufen - wir bringen unseren VW Caddy zurück. Die Rückgabe findet im Hafen von Saranda statt und verläuft absolut professionell. Wir sind beeindruckt. Ilirjan, der Mann der albanischen Familie, die wir bei der Mes Brücke in der Nähe von Shkodra kennengelernt haben, hat die Miete für uns organisiert. Während den Tagen, wo wir mit dem Auto unterwegs waren, erkundigte er sich immer wieder und wollte wissen, ob alles zu unserer Zufriedenheit verläuft.


Saranda – Ksamil                01.11.2018         24.8 km         ↑218 m     ↓217m

Route: Saranda, Ksamil, Butrint

 Heute steht eine Kurzetappe bevor. Das ist gut so, denn wir sind immer noch etwas angeschlagen. In Ksamil, wo wir übernachten werden, laden wir unser Gepäck ab. Es ist elf Uhr, eigentlich viel zu früh um schon die Unterkunft zu beziehen. Es scheint, dass auch niemand da ist, der uns hätte empfangen können. Wir stehen beim Eingang und sehen, wie eine alte Frau mit traditionellen Kleidern uns vom Balkon des Nebenhauses beobachtet. Wir winken ihr zu. Sie winkt zurück und gibt einen grellen Ton von sich. Kurz darauf schaut im dritten Stock eine Frau aus dem Fenster. Sie rennt die Treppen herunter und begrüsst uns ganz herzlich. Es ist unsere Vermieterin. Sie stellt sich als Alida vor. Dann packt sie unser Gepäck und stellt es in einen Raum. Sie will das unbedingt selber machen. Wir kommen uns ziemlich nutzlos vor! Danach rennt sie wieder die Treppen hoch und kommt mit Pralinen und einem Getränk für uns zurück. Als wir den „Tagessack“ packen wollen, stellen wir fest, dass unsere Kleidungsstücke tropfnass sind. Undichte Flasche. Alida nimmt die nassen Kleider, bringt sie zur Waschmaschine und wäscht sie während dem wir in Butrint die Überreste der römischen Stadt besichtigen. Butrint  birgt Schätze von Jahrtausenden, die wir in einer Rundwanderung im Schatten von Bäumen angenehm verbringen. Da wären wertvollste Mosaiken aus frühchristlicher Zeit zu sehen – nur hat man sie zum Glück mit einer Schicht Sand zugedeckt um sie vor den Wetterelementen etwas zu schützen. An besonderen Tagen legen sie sie offen. Die Örtlichkeit ist interessant: die Stadt gedieh, da die Seefahrer damals die Strasse von Korfu bevorzugten und von Butrint aus hatten die Bewohner die Kontrolle. Weiter begünstigte ein grosser Fischreichtum im Vivar-Kanal die Stadt. Auch heute beobachten wir viele Fischer am Kanal und im dahinter liegenden Butrint-See. Schliesslich, bevor wir Butrint verlassen, sehen wir uns die einzigartige Drahtseilfähre an und erkundigen uns nach dem Fahrplan und nach dem Preis. Das Gefährt besteht aus Brettern, die auf Pontons montiert sind. Darauf haben etwa vier Autos oder ein kleiner Lastwagen Platz.
Als wir Heimkommen hängt die Wasche draussen zum Trocknen. Wir wollen Alida für den Waschservice bezahlen, doch dazu brauchen wir ziemlich  Überzeugskraft. Schliesslich nimmt sie den Batzen, meint aber, dass sie dies auch ohne Bezahlung gemacht hätte.
Als wir den Abend auf dem Balkon geniessen, hören wir wieder das akustische Signal der  alten Frau, die übrigens Alidas Mutter ist. Alida rennt wieder die Treppen hinunter und bringt unsere Wäsche samt Ständer in einen Raum.   
Am späteren Abend klopft es an der Tür. Alida steht draussen. Sie bringt uns Äpfel. 


Ksamil - Igoumenista (GR)             02.11.2018         55.8 km         ↑481 m     ↓490 m

Route: Ksamil, Butrint, Konispol, Sagiada, Igoumenista (GR)

Mit der heutigen Route geht die Zeit in Albanien zu Ende. Aber zuerst müssen wir noch ca. 29 km bis zur Grenze über kleine Feld- und Landstrassen fahren. Bei Butrint überqueren wir den Fluss mit der „Unikum-Fähre“. Ruhig schwimmt sie über den Fluss, nur ein leises quietschen des rostigen Seilzuges und ein Knarren der Bretter ist zu hören. Im Fährhäuschen auf der gegenüberliegenden Seite strickt eine Frau Socken. Immer wieder sind wir auf unserer Reise durch Albanien strickenden Frauen begegnet. Die Strickwaren bieten sie jeweils zum Verkauf an. Vorerst fahren wir über Schwemmland und danach entlang einer fruchtbaren Ebene, wo kleinflächige Mandarinen- und Orangenplantagen stehen. Am Strassenrand aufgestapelte Kisten voll mit orangen Früchten deuten auf die Erntezeit hin. Unterwegs treffen wir auf einige „Minibauern“ die ihre Früchte am Strassenrand verkaufen oder sie in Plastiksäcken auf den Markt in die Stadt bringen. Kurz vor der Grenze müssen mir mangels Alternativen die Hauptstrasse SH 97 nehmen. Diese ist sehr gut ausgebaut und hat teilweise sogar etwas wie einen Radstreifen. Wir sind weite Stücke alleine unterwegs – kein Grenzverkehr. Beim Zoll winkt uns ein Beamter heran. Eine Beamtin, die während ihr Kollege unsere ID`s kontrolliert, arbeitslos ist, sucht das Gespräch. Sie will wissen, ob uns Albanien gefallen habe, was wir alles besichtigt haben und ob wir wieder kommen. Es dauert nicht lange und der Beamte gibt uns die ID`s zurück und erklärt, wie wir weiterfahren müssen. Beim griechischen Grenzposten angekommen, stören wir die Staatsdiener beim Fernsehen. Dem Fussballmatch wird jedenfalls mehr Beachtung geschenkt als uns Einreisenden. Entlang der Küste und diesmal durch eingezäunte Zitrusfrucht-Plantagen, die um vieles grösser sind als die ihrer Nachbarn, fahren wir zur Hafenstadt Igoumenista Erstmals riechen wir den Gestank von Agrarchemie – den Albanern sind die Syngenta-Mittel wohl zu teuer. Nach dem Hotelbezug - was für ein Abstieg im Vergleich zu jenen in Albanien – suchen wir in der Innenstadt ein Restaurant. Zwei Tourenvelos lehnen an einem Baum. Es sind die von Charlotte und Ghandi. Wir freuen uns riesig und haben einander eine Menge zu erzählen. Das letzte Mal sahen wir sie in der Nähe von Shkodra. Ghandi meint, dass wir uns bis Athen nochmals treffen. Wo wohl? 


Unsere Eindrücke von Albanien:

Wir lernten die Menschen in Albanien als sehr freundlich, herzlich, hilfsbereit und offen kennen. In vielen Gesprächen äusserten vor allem jüngere Menschen ihren Unmut über die Regierung.

Vor allem Männer bemängeln, dass die regierende Partei nicht die Interessen der Bürger vertritt, sondern ihre eigenen. Korruption nennen sie an erster Stelle. Die jungen Frauen sind etwas optimistischer. Sie hoffen, dass sich die wirtschaftliche Situation irgendwann bessere, räumen aber ein, dass dies sicher noch sehr lange dauern werde. Trotz der politisch und wirtschaftlich schwierigen Situation, wirken die Menschen zufrieden, sie sind nicht missmutig oder vergrämt. 

An dieser Stelle veröffentlichen wir kritische Stimmen, die wir auf unserer Reise durch das Land immer wieder hörten und die uns zu denken geben. 

Die Korruption der Politiker wurde am meisten genannt: 

  • Aussagen wie diese: „Alle Politiker sind korrupt, egal welcher Partei sie angehören. Sie machen grosse Wahlversprechen und wenn sie gewählt sind, vergessen sie das Volk und schauen nur noch für sich“. Ein Beispiel: Um die osmanische Brücke über die Kir zu sanieren, erhielt das Land 2 Millionen Euro von der UNESCO. Die Brücke wurde für 200`000 Euro saniert. Der Rest sickerte in die Portemonnaies der Politiker. Anscheinend sind die Politiker nur Marionetten der Mafia. Regierungswechsel bringen keine Veränderung.
    Die Analysen in unserem Artikel: „Berat - Orikum vom 29.10.2018“ zum Thema Erdölindustrie mögen einen kleinen Eindruck über die Situation vermitteln.
  • Die Regierung beziffert die Zahl der  arbeitslosen Bevölkerung auf 14%. Hier haben wir Zweifel:
    In den Kaffees sitzen viele Männer im arbeitsfähigen Alter rum während der Arbeitszeit.
    • Andererseits erwirtschaften in der Landwirtschaft ca. 45 % der Beschäftigten gemäss Statistik – nur ca. 15 % des Bruttoinlandsprodukts. Es ist eine Subsistenzwirtschaft, in der die Leute wenigstens nicht arbeitslos sind.
    • Ausser der Bau- und Tourismusindustrie scheint die Wirtschaft lahm. Hier wird viel in Hotels, Ferienwohnungen und Infrastruktur investiert, um die Touristen an die Strände zu bringen, was kurzzeitig für eine gewisse Beschäftigung sorgt: -> Siehe engl. Wikipedia-Artikel zum Tourismus:  Wir haben an der Riviera viele wilde Überbauungen einen zeitweise lästigen und starken Lastwagenverkehr festgestellt -> Bild in Beitrag über Saranda vom 31.10.2018.

Krankenkassen nur für Erwerbstätige:

Eneva* ist studierte Ökonomin. Sie und ihr Mann, Geologe, bekamen vor 8 Jahren die Green Card. In den USA arbeiteten beide auf ihrem Beruf. Nachdem ihnen nach 6 Jahren die amerikanische Staatsbürgerschaft zugesprochen wurde, kehrten sie wegen ihrer Familie, den älter werdenden Eltern, wieder zurück nach Albanien. Seit der Rückkehr war es ihm nicht möglich, eine Stelle in seinem Beruf zu finden. Er arbeitet jetzt bei einer deutschen Firma in der Automobilbranche. Seine Frau ist mit den Kindern zu Hause. Er hat durch seine Arbeit eine Krankenversicherung. Sie nicht, weil nicht Berufstätige kein Anrecht auf eine haben. Das bedeutet nun, wenn sie eine Behandlung im Spital benötigt, muss sie diese im Voraus bar bezahlen. Finanziell geht es der Familie gut. Aber denen, den es weniger gut geht? *Name geändert

 

 Immer wieder Stromausfall:

Die heimische Stromerzeugung erfolgt ausschliesslich aus Wasserkraft. Auch in Albanien gab es dieses Jahr wenige Niederschläge. Obwohl die Stromproduktion in den letzten Jahren drastisch heruntergefahren werden musste, hat die Regierung nichts unternommen um private Kraftwerke oder alternative Energien zu fördern. Die Stromleitungen sind sehr wetteranfällig. Stromausfälle haben wir bei Sturm in Orikum und auf dem Llogara-Pass erfahren. Gelegentlich stellen die Hoteliers Generatoren auf, für deren Betrieb der Treibstoff pro Tag gut 70 € kostet.

 

Hügel und Berge sind nackt:

Nur vereinzelt zieren einzelne Bäume kahle Hänge: In den Bergen wird zudem – oft illegal – viel Holz gefällt, was zu starker Abholzung führt. Unsere Gesprächspartner begründen dies so: Die Stromversorgung ist mangelhaft und Petrol oder Diesel zu teuer (In einem Nachsatz erwähnen sie noch, dass der Staat viel Steuern auf fossilen Treibstoff erhebe, diese aber für eigene Zwecke abzweige und nicht für die Finanzierung der Infrastruktur verwende). Oft sieht man starke Männer mit dem Beil Holz spalten.

 

Erdölreichstes Land Europas:

Albanien fördert nur noch in geringen Mengen Erdöl. Die Förderanlagen sind veraltet: die Ausbeutung ist schlecht. Die Regierung verkaufte Förderlizenzen an die Chinesen und Italiener. Albanien wiederum importiert minderwertigen, billigeren Treibstoff aus diesen Ländern. Der Schwefelgehalt des Benzins ist höher als in entwickelten Ländern. Vorbeifahrende Autos stossen daher ätzende Abgase aus – nichts für tief atmende Velofahrer!

 

Aufgestellte Jugendliche und Kinder:

Zufrieden äusserten sich alle Befragten mit den staatlichen Grundschulen und der Qualität des Unterrichts. Auch wir hatten einen guten Eindruck, zumindest was den Zustand der Schulhäuser und des Pausenplatzes anbelangt. Sehr oft, zur Mittagszeit, wenn der Wechsel von Morgen- zu Nachmittagsschule stattfindet, wurden wir von Schulkindern angehalten. Uns schien, dass alle ihre Englischkenntnisse praktizieren wollten. Sie wollten wissen, woher wir kommen, wohin wir gehen, ob wir alles mit dem Velo fahren und die wichtigsten Fragen aller Fragen: „What’s your name?“ und „Do you like Albania?“

 

Keine oder ineffiziente Abfallentsorgung und Abwasserreinigung:

Nachdem wir im nördlicheren Balkan und in Griechenland viele stinkende wilde Abfalldeponien und mit Abfall übersäte Strassenränder gesehen haben, können wir nur feststellen, dass dies in Albanien noch etwas schlimmer ist. Die Bäche sind ev. auch noch etwas mehr verschmutzt. Ein paarmal mussten wir schnell weiterfahren, um den Gestank nicht lange einatmen zu müssen. Unsere Bekannten störten sich sehr an diesem Zustand.

 

Ob wir Schwurjungfrauen, wie sie Elvira Dones in ihrem Buch „Hanna“ beschreibt, gesehen haben, wissen wir nicht. Jedenfalls haben wir hart arbeitende Frauen gesehen, die Holz aus den Wäldern schleppten und männliches Benehmen zeigten. In Tirana, in einer der sehr seltenen Buchhandlungen, die in der Stadt zu finden sind, haben wir eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema „Schwurjungfrau“ entdeckt. Im Länderdreieck Albanien, Kosovo und Montenegro leben noch heute Schwurjungfrauen. Ein Gesetz aus dem Mittelalter erlaubt ihnen, beim Tod des Patriarchen dessen Platz in der Familie zu besetzen.  

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