Teil 2 Türkei 2019




Bus- und Taxifahrt von Trabzon bis Batumi, Georgien  22.09.2019

 

Gestern machten wir einen ernsthaften Versuch, mit dem Velo auf türkischen (Schnell-) Strassen zu fahren und mussten einsehen, dass dies nichts für uns ist. Also fahren wir mit den Velos durch steile Strassen und Schnellstrassen überquerend zum Busbahnhof. Beim Packen kommen wir vorher mit dem freundlichen Hilfsportier ins Gespräch, der ausnahmsweise Englisch kann. Er erzählt, dass er bald wieder sein Ingenieurstudium aufnimmt und dass er auch einmal eine Velotour machen möchte. Uns gefällt`s, wie er freudig in die Zukunft blickt!

Glücklicherweise steht unser Bus schon früh bereit und wir nehmen mit dem Fahrer Kontakt auf um anzudeuten, dass wir die Velos schon verladen wollen. Er runzelt die Stirn und schüttelt kaum merklich den Kopf. Wir geben uns unbeeindruckt und gehen zum Gepäckfach. Er folgt uns und sein Gesicht entspannt sich. Er weist uns den Weg zur Rückseite des Busses und öffnet eine Tür – und was sehen wir: ein Gepäckfach, in das unsere beiden Velos samt Gepäck genau hineinpassen. Wie früher haben wir die Räder wegnehmen müssen. So sind die Türken: vorerst etwas zögerlich, dann bemerken sie unsere Verzweiflung und helfen freundlich.

Entspannt sitzen wir auf den vordersten Sitzen des voll besetzten Busses und geniessen die Schwarzmeerküste bei schönstem Wetter. Vor- und nach Rize sehen wir viele grosse und kleine Teeplantagen. Tee verarbeitende Fabriken hat es etwa ein Dutzend. Mit kleinen Lastwagen bringen die Bauern frisch gepflückte Teeblätter in Tüchern eingewickelt zur Verarbeitung. Die Küste ist stark besiedelt – oft mit langweiligen Retortensiedlungen. 

Links sehen wir – nur zuweilen durch Tunnels unterbrochen – das Schwarze Meer, das heute einen hohen Wellengang hat. Wir staunen über die unerschrockenen zwei Velofahrer, die sich zwischen den Leitplanken und dem dichten Verkehr vorwärts bewegen.

An der Grenze geht’s erst flott. Für die Wareneinfuhrkontrolle winkt uns ein Beamter, dass wir nicht mit den Autos anstehen dürfen. Er schickt uns in ein Gebäude, das wie ein Flughafengebäude aussieht. Wir denken: bei der grünen Tafel gehen wir wohl am schnellsten durch – doch weit gefehlt: Nichts zu verzollen heisst, auch dass man durch eine sehr schmale Tür mit Drehkreuz durchgeht. Sie schicken uns also zurück zur roten Tafel, wo eine lange Menschenschlange riesige Säcke, Koffern und Kisten - wohl in der Türkei eingekaufte Waren - mitschleppt. Eine nette junge Frau spricht uns an, so dass wir für eine Weile die Wartezeit vergessen. Wie im Flughafen wird unser Gepäck gescannt. Die letzte Hürde ist überwunden. Wir sind in Georgien! Da angelangt, wechseln wir die übrig gebliebenen türkischen Lira und fragen den Schalterbeamten, wo wir ein Taxi bestellen können. Er kommt gleich mit und spricht einen Taxi-Manager an, der schnell ein übergrosses Vehikel organisiert. Schon fahren wir los. Batumi, ein Mix moderner Hochhäuser, renovierten wie zerfallenen Sowjetbauten, Denkmäler und historischen Bauten aus vergangenen Zeiten.


Vom Kloster Sumela nach Trabzon    21.09.2019

Unsere Unterkunft liegt im engen Tal unterhalb des Klosters Sumela. Jetzt, zu dieser Jahreszeit, überscheint die Sonne das von einer Familie geführte Hotel. Die Mutter kocht und putzt und die Grossmutter hilft mit. Der Sohn ist für die Rezeption zuständig – er hat definitiv den Schoggi-Job! Ausser uns, logierte nur noch ein einziges Paar im Hotel. Die Touristensaison ist vorbei. Die Mütter haben wieder vermehrt Zeit zum Stricken. Gemütlich sieht es aus, wie die Beiden mit der typischen Bekleidung dieser Gegend im Sofa sitzen und an einer Weste stricken. 

Die Wolken hangen tief. Es regnet in Strömen. Uns soll es nicht stören, wir fahren die 40 km zum Flughafen Trabzon mit dem Auto. Die Strassensignalisation ist gut, die Fahrweise impulsiv und die Interpretation der Regeln unterschiedlich. So kommt es nicht selten vor, dass bei „rot“ doch noch ein rasanter Fahrer über die Kreuzung flitzt. Wir können das Auto, gottlob, einwandfrei abgeben. 

Und nun geht die Reise weiter mit dem Velo und zwar über die Autostrasse, die mehr eine Autobahn ist. Ein guter Test für unsere Weiterfahrt nach Batumi. Sehr bald merken wir, dass so etwas für uns nicht in Frage kommt.

Mit dem Dolmus, einem Sammeltaxi, fahren wir erst zum Zentrum (Maydan) um Fahrkarten für den Bus nach Georgien zu kaufen und dann weiter durch die verstopften Gässchen zur Kirche Hagia Sofia. Seit 2003 wird sie wieder als Moschee benutzt. Auffallend ist hier in Trabzon, dass viele ältere Männer eine Gebetsmütze (Takke) tragen und nicht wenige Frauen eine Burka. Tarbzon, Kayseri und Erzurum gehören zu den streng religiösen Städten. 

Trabzon - früher an der Seidenstrasse - war bis zum Ersten Weltkrieg eine geschäftige Handelsstadt. Auch heute noch ist der Hafen Umschlagplatz für Haselnüsse, Tee und Tabak. 


Von Gümüşhane über den Zigana-Pass bis zum Kloster Sumela    20.09.2019

Etwas abseits der Autobahn Richtung Trabzon, liegt der Zigana-Pass. Statt durch die vielen Strassentunnels fahren wir über den 2032 m hohen Pass, ein Teilstück der Seidenstrasse und von  historischer Bedeutung. Durch enge Windungen führt die Strasse ins dünn besiedelte Gebirge. Auf der Passhöhe bläst und pfeift ein kalter Wind. Alles, was nicht angebunden oder im Boden verankert ist, fliegt durch die Luft. So auch glühende Kohlenstücke vom nahen Restaurant, wo der Grill eingeheizt wird. 

Die Rundsicht aufs Zigana-Gebirge ist fantastisch. Wir spazieren durch den kleinen Weiler mit ein paar Gaststätten, Ferienhäusern und Bauernhäusern, die verstreut am gegenüberliegenden Hang kleben. Wie üblich, fehlen auch hier die Kangal-Hunde nicht, aber die scheinen kein Interesse an uns zu haben - wir sind ja schliesslich nicht mit dem Velo unterwegs. Trotzdem achten wir darauf, ihnen nicht in die Quere zu kommen. Auf einem kleinen Acker arbeiten zwei Frauen; sie ernten alles Gemüse bevor der erste Schnee fällt. Anscheinend soll es schon bald so weit sein. Der kleine Skilift am Steilhang wird dann wieder in Betrieb sein. Aber die Vorstellung auf dieser engen Strasse, ohne Leitplanken und erst noch mit Schnee, hochzufahren graut uns. 

Schliesslicht treten wir ins Restaurant ein, wo ein warmer Ofen eingeheizt ist und für Gemütlichkeit sorgt. Wir sind die einzigen Gäste. Der Chai in der Kanne auf dem Holzofen blubbert. Der Inhaber zerlegt ein Tier in Stücke, wetzt zwischendurch sein Messer, das aus unserer Sicht sehr scharf ist und dementsprechend nur so durchs Fleisch gleitet. Der zweite Mann im Raum wendet sich an uns. Er erzählt, dass er der Bruder des Besitzers ist und 50 Jahre in der Stahlindustrie in Düsseldorf arbeitete. Von ihm vernehmen wir, wie es ist, hier oben zu leben und auch, als er noch jung war, eine vier Meter hohe Schneedecke die Landschaft einhüllte. Aber heut zu Tage reiche es gerade noch knapp zum Skifahren, meint er. Im Sommer soll hier hektisches Treiben stattfinden, aber nicht auf Wanderwegen, sondern in der Gaststätte, wo die Türken zum Essen einkehren - wandern mögen sie nicht. 

Wir verlassen den Zigana-Pass Richtung Norden, hin zum Schwarzen Meer. Schliesslich wollen wir noch zum Kloster Sumela hochsteigen. Beim Parkplatz unten angekommen, ziehen dicke Wolken auf. Nur knapp reicht die Zeit, um ein Foto des Klosters, das aussieht wie ein an die Felswand geklebtes Schwalbennest, zu schiessen. Wir steigen in den Schuttlebus, der im halsbrecherischen Tempo am Abgrund zur Schucht zur Treppe fährt, die zum Kloster hinauf führt. Wir sind dem Vater mit dem Kleinkind dankbar, als er den Fahrer zum vorsichtigeren Fahren ermahnt. Danach fühlen sich die 300 Stufen zum Kloster wohltuend an. Bedauerlich ist allerdings, dass wir wegen der Renovation des Klosters nur eine kleine Terrasse mit Blick auf den Hinterhof begehen können. Die aufziehenden Wolken verleihen dem Ganzen etwas Mystisches.


Aussicht vom Zigana-Pass (frühere route der Seidenstrasse)
Aussicht vom Zigana-Pass (frühere route der Seidenstrasse)

Fahrt mit dem Auto durchs wilde Ostanatolien von Erzurum bis Gümüşhane     19.09.2019

Martin legte gestern Abend eine Veloroute auf dem GPS fest, die abseits der grossen Strassen zum ca. 20 km entfernten Flughafen führt. Es ist frisch heute Morgen auf dieser Höhe, vor allem im Schatten der hohen Gebäude. Seit langem ziehen wir wieder einmal unsere Jacken an. Über Nebensträsschen und Hintergässchen verlassen wir Ostanatoliens Hauptstadt, welche die grösste Stadt der gleichnamigen Provinz Erzurum im Osten der Türkei ist. Erzurum, wie auch die anderen Städte, die wir bis anhin besuchten, sind sehr kompakt gebaut; der Land - Stadtübergang ist abrupt. Und so fahren wir schon nach ca. fünf Kilometern auf einer staubigen Nebenstrasse, die leider an einer neugebauten Autostrasse endet, dem Flughafen entgegen. Kommt uns doch irgendwie bekannt vor! Wir warten einen verkehrsfreien Moment ab und schieben die Räder über die Strasse, wo das Kiessträsschen sich weiter durch die Landschaft schlängelt. Gerade wieder so richtig angefahren, kommt uns ein Mann entgegen und will wissen wohin unsere Reise geht. Zum Flughafen. Er will uns über die Autobahn schicken, was wir dankend ablehnen und weiterfahren. Na ja, nicht für lange. Denn plötzlich tut sich vor unseren Augen ein unüberwindbares Hindernis auf. Ein hoher Maschendrahtzaun, notabene ohne Loch. Ein riesiges Gelände, auf dem ein neues, wahrscheinlich öffentliches Gebäude steht, ist damit eingezingelt. Kein Durchkommen. Wir kehren um und fahren über die Autobahn, mit dem Gedanken im Kopf, wenn’s nicht geht, halten wir einen Taxi an, der uns zum Flughafen fährt. Obwohl wir im Flughafen nur unser Mietauto abholen, müssen wir durch die Sicherheitskontrolle. Danach dauert der Papierkrieg im Rental Office bis zur Aushändigung des Schlüssels etwa eine Stunde. Schon ziemlich gerädert verstauen wir die Velos samt Gepäck im Kofferraum. Die Route ans Schwarze Meer führt uns zuerst über die Autobahn und später entlang einer auf der Karte als „Landschaftlich schöne Strecke“ vermerkten Strasse. Die ockerfarbenen Felder, die kahlen Bergspitzen und der tiefblaue Himmel erstrahlen in der Vormittagssonne besonders intensiv. Wir sind gespannt, wie viele Pässe wir über- und Tunnels durchqueren müssen, bis sich die Vegetation verändert: die Hänge wieder mit grünem Gras bewachsen sind und Laubbäume oder Tannen wachsen. Schon nach dem ersten Pass 2450 m. ü. Meer wachsen auf der Rückseite vereinzelt Föhren. Kleine Flächen auf den Südseiten der Berghänge sind mit Pappeln, Birken und Eschen aufgeforstet worden. Die Blätter der noch jungen Laubbäume haben sich schon verfärbt. Herrlich, die Farbenpracht! 

Nach drei Stunden Fahrt und einer Polizei Kontrolle fahren wir im ersten Dörfchen, wo es etwas zu Essen gibt, ein. Pazaryolu, ein authentisches Dorf mit 4000 Einwohnern und Geschäften für den alltäglichen Bedarf der Bauern und der Landbevölkerung. Auch hier besetzen Chai schlürfende Männer auf ihren Hockern die Trottoirs vor den Cafés. Und weil sich hierher kaum ein Tourist verirrt, sind wir zur Attraktion geworden... Das von uns angepeilte Restaurant ist nicht mehr da. Ein hilfsbereiter Mann bringt uns zu einem andern Restaurant, wo wir direkt in die Küche geführt werden und eine Auswahl an verschiedenen Gerichten treffen. Bohnen mit Peperoni und Tomatensauce, Auberginengemüse, Mussaka, Poulet, Pommes und Reis bekommen wir serviert. Sehr lecker! Zum Dessert überrascht uns die Wirtin – mit Kopftuch, wie die meisten Frauen in dieser Gegend – mit einem Café und CH-Schokolade. Ohne Englisch, aber mit Mimik, Gestik und G-Übersetzer unterhalten wir uns. Wir sind beeindruckt von ihrer Aufgeschlossenheit, Herzlichkeit und Lebensfreude! 

Die Fahrt geht weiter entlang eines mäandernden Flusses, wo viele Kühe weiden und Heuballen auf den abgeernteten Feldern liegen. Kurz vor Abenddämmerung erreichen wir Gümüşhane, einen Touristenort, der uns an die grosszügig ausgebauten Skizentren der französischen Alpen erinnert. 

Nach 195 km und 6 Pässen sind wir als nicht geübte Autofahrer total auf den Felgen. 

Passübergang nach Pazaryolu
Passübergang nach Pazaryolu

Besichtigung Erzurum    18.09.2019

Wieder mal gut geschlafen machen wir uns auf, um die zahlreichen Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besuchen. Alle sind zu Fuss gut erreichbar. Die unbekannte Stadt kommt uns in der Sonne mit den grosszügigen Parks sehr freundlich vor. Die Temperatur ist auf fast 2‘000 m mit 24 Grad am Tag sehr angenehm. Zuerst besuchen wir eine Medrese, eine Schule, in der früher islamische Wissenschaften unterrichtet wurden. Das grosse, fein in Stein gehauene Eingangsportal und das verzierte Minarett beeindrucken uns und erinnern an Tausend-und-eine-Nacht. Gleich daneben besuchen wir die Karawanserei, in der die Karawanen auf der Seidenstrasse (!) abstiegen. Man kann die Bereiche, in denen die Tiere und die Menschen wieder auftankten, gut erahnen. Heute sind darin Läden mit Schmuck untergebracht. Bei unserem Rundgang kommen wir durch etliche gut erhaltene Altstadtquartiere. Die Häuser besitzen oft vorstehende Obergeschosse, die wir auch im Balkan angetroffen haben. Wahrscheinlich haben die Türken diese Art Häuser auch im Balkan gebaut. Wir kehren in einem Restaurant ein, das 300 Jahre alt ist und stellen die extrem solide und gut isolierte Bauart fest. Die Fenster sind eher klein, die Mauern sind 80 cm dick und drinnen finden wir ein Cheminée. Wir erinnern uns, dass die Winter bis – 40 Grad kalt werden. Zur Dekoration finden wir antikes Wintergerät, wie u.a. Schneeschuhe. Beim Besuch des Burgturms kommen wir auf der steilen Wendeltreppe ins Schwitzen. Die Aussicht belohnt uns aber. Die hohen Berge ringsum erinnern uns an die raue Natur und wir versuchen den Weg auszumachen, entlang dem wir Morgen über die hohen Berge ans Schwarze Meer gelangen werden. 


Bahnfahrt mit dem Dogu-Express bis Erzurum    17.09.2019

Es rattert, rüttelt und quietscht. Was ist denn hier los? Ich ziehe den Vorhang ein wenig zurück. Was für ein gewaltiger Anblick! Am Nachthimmel nehme ich beidseitig des Wagons riesige Berge, deren Spitzen nicht ersichtlich sind, wahr. Aber ich habe doch erst knapp drei Stunden geschlafen. Der Versuch weiter zu dösen, gelingt mir nicht, zu sehr interessiert mich die Landschaft und schliesslich fahre ich wahrscheinlich nie mehr durch diese archaische Gegend. Wenig später erwacht auch Martin Wahrscheinlich von meinen Ausrufen... Schon bald setzt die Morgendämmerung ein und wir fahren inmitten von hohen, kahlen Bergen in einem engen Tal mit einem grösseren Fluss. Wir nehmen das GPS zur Hand und stellen fest: Es ist der geschichtsträchtige Euphrat ist! Unbeschreiblich die schöne Landschaft: tiefblauer Euphrat, rot, gelb und grüne Felsen und zwischendurch okerfarbene kleine Felder auf denen kleine Schafherden die trockenen Stoppeln abfressen. 

Die Ottomanen hatten mit dem Bau der Bahn angefangen und die Franzosen hatten sie ca. 1920 fertiggestellt.

Nach langer Fahrt - gegen Abend - wird der Euphrat zu einem in der Grösse vergleichbaren Fluss mit der Emme zusammenschrumpfen. Der Fluss ist an mehreren Orten aufgestaut, um Elektrizität zu erzeugen. Warntafeln warnen vor Flutwellen, wie auch bei uns, z.B. an der Saane.

Um acht Uhr hält der Zug irgendwo im nirgendwo an. Pause für 3 Stunden. Einige Passagiere verlassen den Zug und steigen in einen Sammeltaxi. Wir gehen ins Dogu-Express-Restaurant, das nächst zu unserem Wagon angehängt ist. Zwei Kellner, beide in schwarzen Hosen und schneeweissen Hemden, warten auf Gäste. Ein Schwede und wir sind die einzigen Gäste. Von ihm vernehmen wir, dass die Passagiere, die in ein Sammeltaxi stiegen, eine Exkursion an einen uns unbekannten Ort machen. Schade, hatten wir keine Kenntnis davon. Um elf Uhr kommen die Ausflügler zurück, alle sind an Board und wir fahren weiter. In Erzincan steht die nächste Exkursion an und für die konnten wir kurzfristig auch noch zwei Plätze buchen. Auch hier wartet ein Kleinbus auf uns Ausflügler. Wir werden herzlich begrüsst, nehmen im Bus Platz und schon fahren wir los. Der Reiseführer steht vorne im Bus, redet, redet und redet – alles in Türkisch. Wir warten – wie auch die Anderen – auf die englische Übersetzung. Vergebens warten wir. Die Reiseführerin, die im Zug angeheuert hat, spricht auch kein Englisch. Nur mit dem Google-Translater kann sie einzelne Wörter übersetzen, so z.B., dass man hier Skifahren und Reiten kann. Aber trotzdem sind wir beeindruckt von den Wasserfällen, die wir nach etwa 50 km rasanter Fahrt erreichen. Die Infos zur Ausgrabung aus frühchristlicher Zeit bekommt leider niemand mit. Auf die Besichtigung der Kupferwaren in der Innenstadt verzichten wir. 

Mit drei Stunden Verspätung fahren wir weiter Richtung Erzurum. Bei der Ankunft ist es schon dunkel. Wir entladen unsere Räder mitsamt Gepäck und radeln durch die weihnachtlich geschmückten Strassen in die Innenstadt, wo wir unser Hotel beziehen. 


Stadtrundgang Kayseri und Abfahrt mit dem Dogu-Express    16.09.2019

Nach einem fantastischen Frühstück mit frischen Früchten, Gemüse, Käse, Joghurt, diversen Broten und Konfitüren organisieren wir die Weiterfahrt von Erzurum ans Schwarze Meer. Martin kontaktiert verschiedene Blogs und auch Google-Maps und stellt fest, dass die Route von Erzurum ans Schwarze Meer landschaftlich zwar sehr schön ist, aber dass zwei Drittel der Strasse durch unbeleuchtete Tunnels ohne separaten Streifen führen. Die Alternative wäre, über die Berge mit ca. 8‘000 Höhenmetern auf unbefestigten Fahrwegen, oder mit dem Autobus bis an die Grenze zu Georgien fahren. Wir stellen bald fest, dass die Busse keine Fahrräder mitnehmen. Was nun? Wir entschliessen uns, ein Auto zu mieten. Nach kurzer Suche finden wir einen Einweg-Mietwagen, den wir in Trabzon abgeben werden. Von da aus hoffen wir, wieder aufs Velo umsteigen zu können. Zucken tut es uns in den Waden…

Den Tag verbringen wir in der Altstadt von Kayseri. Uns bleiben die herausgeputzten Parks und der historische Stadtrundgang über eine Karawanserei, einen riesigen alten Bazar, ein römisches Grab und das Atatürk-Haus in Erinnerung. Dann kaufen wir noch Proviant für die lange Bahnreise ein.

Die Wartezeit bis zur Abfahrt des Dogu-Express kommt uns unendlich lange vor und dauert noch länger als vorgesehen. Kurz nach 22 Uhr verlassen wir unser Hotel mit dem Velo. Um diese Zeit ist das Verkehrsaufkommen gering. Die Überquerung der Schnellstrasse, die wenige Meter vor dem Bahnhof vorbeiführt, ist somit relativ gefahrlos. 

Nur etwa sechs Züge verlassen täglich die im Umbau befindende Bahnstation der TCDD. Und trotzdem ist der Bahnschalter bedient. Wir vernehmen: Abfahrt Dogu-Express Gleis 1.

Im Halbdunkel machen wir noch weitere Bahnangestellte aus. Einige sind mit putzen der Perrons beschäftigt, andere laufen mit dem Funkgerät umher und wieder andere stehen beieinander und plaudern. Um 23:10 Uhr fährt ein Zug auf Gleis 1 ein. Ruhig entsteigen die Passagiere ihren Wagons und verschwinden in ein Taxi oder in die Dunkelheit. Auch keine Hektik kennen die Bahnangestellten. Die putzen in aller Ruhe den Zug und schieben ein Wagon nach dem anderen auf ein Rangiergleis. Der ganze Vorgang dauert bis 24 Uhr. Dabei müsste unser Zug schon um 23:22 Uhr auf Gleis 1 eingefahren, respektive abgefahren sein. Beruhigend stellen wir fest, dass noch fünf weitere Touristen, die dem Dogu-Express von Ankara herkommend, zusteigen wollen. (Der Touristik Dogu-Express befördert nur Touristen und keine Landsleute.) Endlich, 10 Minuten nach Mitternacht fährt pfeifend unser Zug ein – zu unserem Schreck auf Gleis 2. Puh, wie bekommen wir unsere Räder und das Gepäck über die etwa 80 cm tiefer liegenden Schienen? (Einen Bahnübergang oder eine Unterführung gibt es nicht.) Wir tragen Stück um Stück über das tiefer liegende Gleis und hieven sie auf der anderen Seite wieder auf`s Perron. Unsere Aufregung potenziert sich, als auf Gleis 1 wieder der wegrangierte Zug einfährt und uns daran hindert, unsere Velos herüber zu holen. Der Zugchef bemerkt unsere Aufregung. Er steht ruhig neben uns und wartet, bis unsere Habe im Gepäck-Wagon verstaut ist. (Wir erinnern uns daran, dass die Bahn nur „Faltvelos“ mitnehmen würde, als wir unsere Räder im fast leeren Gepäckwagen verstauen.) Dann gibt er dem Lokführer das Zeichen zum Abfahren. Uns heisst er „Willkommen“ und führt uns zu unserm Abteil im Schlafwagen. Für die nächsten 19 Stunden rattern wir mit ca.50-60 km/h in einem bequemen Abteil Ostanatolien entgegen. Bald fallen uns die Augen zu - aber nur für kurze Zeit...

Noch was zu den Vermächtnissen der Franzosen: Sie haben einige Wörter im Türkischen hinterlassen --> Bild.


Weiterfahrt von Göreme mit dem Taxi nach Kayseri 50 km   15.09.2019

Mehmet, der freundliche Taxifahrer, fährt uns für die lokalen Verhältnisse behutsam nach Kayseri. Bald wird uns klar, dass er sich in der Stadt Kayseri kaum auskennt. Wir merken es zuerst, als er uns zum Flughafen fahren will (eine ihm bekannte Strecke) und spätestens, als er uns in der Vorstadt beim grossen Busbahnhof ausladen will, wo viele Taxis stehen. Ich halte ihm den Routenplaner von Google vor jeder Abzweigung vor die Nase und er fährt willig in der angezeigten Richtung, bis wir zur Hotelvorfahrt gelangen. Wir sind happy und hoffen, dass Mehmet nun wieder zurück in der Kleinstadt Göreme ist. 

Die Wolken hängen tief, es regnet. Auch der Hausberg von Kayseri, Erciyes 3917 m versteckt sich hinter einer dicken Wolkendecke. Die Stadt macht auf uns einen tristen Eindruck. Beim Bummel durch die Innenstadt, revidieren wir unseren ersten Eindruck: grosszügige Parkanlagen mit saftigem, grünen Gras und vielen Blumen und Bäumen geben ein anders Bild ab.

Wir besuchen das Seldjuken-Museum, das die Geschichte des arabischen Volkes dokumentiert und  die Hauptattraktion von Kayseri ist. Die Gegenstände im Museum sind ansprechend ausgestellt und die Besucher können sich interaktiv beteiligen. Schade, dass fast alle Dokumentationen nur in Türkisch abgefasst sind!  

Martin kämpft mit einem kleinen Käfer, weshalb wir den Museumsbesuch kurz halten und schnellstmöglich wieder ins Hotel zurückkehren. Am Abend meldet sich dann doch noch der Hunger. Etwas Kleines soll es sein. Wir suchen ein „Suppenrestaurant“ auf, wo wir eine schmackhafte Linsensuppe serviert bekommen. Diese Art von Restaurants bieten nur Suppen in verschiedenen Variationen an z.B. Kichererbsen-, Tomaten-, Gemüse- Pilz-, Kuttel- und andere Eingeweide-Suppen. Alle Suppen werden mit Fladenbrot und einem gemischten Salat serviert. Am Schluss gibt es meistens noch einen Chai oder türkischen Café.

 


Schluchtenwanderung durchs Love Valley     14.09.2019

Habt ihr auch schon vergessen, das Kästchen: „Allgemeinen Geschäftsbedingungen gelesen“ bei einer Internetbestellung anzukreuzen? Deswegen können wir unsere Wanderung erst spät beginnen. Wir bestellen unsere Plätze im Dogu-Express auf der TCDD-Website der Staatsbahn, was eigentlich recht gut geht. Alles super, es hat sogar Schlafabteile für die 17-stündige Fahrt und schon landen wir bei der Bezahlung mit der Kreditkarte – alles super – oder? Kurz: eine gefühlte Stunde später setzen wir das genannte Kreuz bei den AGB (-gelesen) und bald erhalten wir die Tickets für Montag auf SMS und E-Mail.

Begeistert von der gestrigen Wanderung ins Pidgeon Valley machen wir uns auf ins Love-Valley. Diese ca. 15 km lange Wanderung hat uns Nev, der Reiseführer, von der grünen Tour von vorgestern empfohlen. Zuerst gibt es einen längeren Anmarsch zum Talausgang im Norden. Wir wandern über einen Bergrücken auf einem Natursträsschen mit einer super Aussicht über die Landschaft. Beim Ausgang des Love-Valley finden wir einen Wanderwegweiser und schon befinden wir uns noch auf einem breiteren Natursträsschen, das bald auf einem Parkplatz endet, wo wir einen Touristenbus vorfinden. Das Tal wird grüner und enger und die ersten Steinsäulen säumen den Weg. Einzelne, meist junge Wanderer, kommen uns entgegen – beruhigend in dieser einsamen Gegend! Auf einem Aussichtspunkt mit einer Kaffeebude trinken wir einen Chai und bewundern die phallusförmigen Steinsäulen. Eine Reisegruppe aus Montreal kommt auch an und wir sind froh, uns wieder mal flüssig zu unterhalten. Dies im Gegensatz zum Servicepersonal, dessen Vokabular sich oft aufs Bestellen und Bezahlen beschränkt, eine Wohltat! Beim Weitergehen verzweigen sich die Wege häufig und nur dank dem Garmin-GPS finden wir den richtigen. Später sehen wir ein paar Leute, die auf einem Felsvorsprung stehen und nach einer Weile wieder umkehren. Vermutlich führen die kleinen Seitenwege zu den Gärten der Kleinbauern – oder zu den Taubenschlägen, wo die Kleinbauern den Taubenkot sammel(te)n. Einzelne Passagen sind sehr steil und rutschig. Wir gehen vorsichtig. An einer Stelle ist der Durchgang nur eine Person breit und zum Glück ist das Bachbett trocken. Oben in Uçhisar angelangt, nehmen wir den uns bekannten Heimweg durch die Taubenschlucht unter die Füsse.

Am Abend bestellen wir das Taxi für morgen, um nach Kayseri zu fahren, von wo aus wir am Montag die spannende Bahnreise in den Osten antreten.


Schluchtenwanderung von Göreme nach Uçhisar     13.09.2019

Die Taubenschlucht (Pidgeon Valley) erstreckt sich von Göreme bis Uçhisar; diese wollen wir heute begehen. Beim Einstieg in die Schlucht weist eine verwitterte Infotafel den Weg, der zu Beginn noch recht unspektakulär ist. Wir folgen dem engen Pfand, der entlang eines trocknen Bachbetts führt. Der Pfad führt zwischen Obst- und Gemüsegärten, Felstürmen und Felshöhlen hindurch und belohnt uns nach einem zackigen Aufstieg auf eine Felsnase mit einem fantastischen Ausblick. Den Blick auf die gegenüberliegende Felswand gerichtet, sichten wir bewohnte Taubennester. In früheren Zeiten wurde der Taubenkot von den Bauern gesammelt und als Dünger im Rebbau verwendet. 

In Uçhisar steigen wir über mehrere Stufen hinauf zur Felsenburg, die hoch über dem Dorf thront. Touristen aus aller Welt geniessen wie wir die Rundsicht. Auf dem Rückweg nehmen wir eine abgekürzte Variante. Im engen Tal wohnen ein paar Kleinbauern, die Reben, Kürbisse und Chilischotten anbauen und auch Hühner halten. Auf einem Flachdach sehen wir grosse Metallschüsseln, in denen sie die Chilipaste trocknen. Diese Paste wird bei fast jeder Mahlzeit aufgetischt – uns schmeckt sie.


"Grüne Tour" in Göreme     12.09.2019

Heute machen wir wieder eine geführte Tour mit Schwerpunkt Felsendörfer und Felsenstädte sowie einer Schluchtenwanderung. Geführte Touren haben den Vorteil, dass wir z.T. lange Anfahrtswege schnell überwinden können und gute Informationen nicht selber recherchieren müssen. Diesmal haben wir einen ausgezeichneten Führer, der viel über die Kulturen weiss, welche die Felshöhlen bauten und bewohnten. Wie weit fortgeschritten die Kulturen in Anatolien und Mesopotamien waren, zeigte er anhand eines fein behauenen Steinkreuzes das aus ca. 12‘000 Jahre v. Chr. stammt. Dazu brachte er den Vergleich zu Stonehenge aus der Zeit von ca. 4‘000 Jahre v. Chr. 

Der Reihe nach: Zuerst besuchen wir eine unterirdische Stadt. Sie besteht aus acht Etagen und konnte etwa 2‘000 Leute beherbergen. Der Zweck war der Schutz vor Angreifern, wie den Mongolen. Bei Gefahr konnten die Bewohner Steine, ähnlich übergrosser Mühlsteine, vor die Eingangstüren wälzen und verkeilen, die einen grossen Schutz boten. Wir stellen die hohe Funktionalität und Organisation der unterirdischen Stadt fest: Wohnbereiche, Stallungen zuoberst, gemeinsame Küchen, Vorratsräume und nach der Christianisierung Kirchen. Dazu Frischluftkamine, Rohre zum Sprechen und Wasserschächte. Ein kleiner Trick der Natur hat den damaligen Steinmetzen die Arbeit sehr erleichtert: Die Vulkanasche ist bei der Bearbeitung noch weich, bis genügend Luft dazu kommt. Erst dann erhärten die behauenen Wände und Nischen. Der Führer zeigt uns in einer entlegenen Ecke zwei verschüttete Gänge, von denen aus man noch viele weitere Teile der unterirdischen Stadt vermutet. Es soll noch viele solche unterirdischen Städte existieren in der Gegend – und diese sind anscheinend über grosse Distanzen untereinander verbunden.

Nach einer langen Fahrt durch ausgetrocknete Landschaften erreichen wir das Ihlara-Tal, wo wir in der wohltuenden Kühle dem Fluss entlangwandern. Uns beeindrucken auch die Basaltsäulen, die das enge Tal auf beiden Seiten begrenzen. Im Tal gibt es wieder Dutzende von Höhlenkirchen, von denen wir das Kloster Selime besuchen. Wieder bestaunen wir die Steinhauerkunst der frühen christlichen Bewohner.
Nach einer weiteren Autofahrt besuchen wir das Felsenkloster Selime. Das Kloster ist ein Werk von unvorstellbaren Ausmassen, mit dem die Mönche im 6. Jh. begannen. Das Labyrinth von Treppen, Gängen, Klausen und Kapellen mündet schliesslich in ein riesiges Refektorium mit Blendbogenwerk und in eine dreischiffige Kirche. Dem Kloster sind auch wieder alle Räume angegliedert, die eine Gesellschaft benötigt, wie wir sie bei der unterirdischen Stadt gesehen haben.

Am Abend machen wir einen weiteren Anlauf, um herauszufinden, ob die Eisenbahn von Kayseri nach Erzurum unsere Velos mitnehmen wird. Endlich haben wir eine Telefonnummer gefunden. Ich rufe keck an und nach dem vierten Versuch läutet es und jemand antwortet auf Türkisch. Ich frage, ob wir englisch sprechen können und schon hängt die Gegenseite auf. Pech. Ich frage den Hotelportier und habe Glück: er findet eine andere Telefonnummer der Bahngesellschaft und gibt mir das Telefon, nachdem er jemanden, der Englisch kann, gefunden hat. So erhalten wir die ersehnte Antwort: sie nehmen „Faltvelos“ mit. Das genügt unseren Bedürfnissen bestens und wir sind happy.


"Rote Tour" in Göreme     11.09.2019

Geführte Tour zu: Uçhisar Burg, den grössten Felsen der Region 1500 m.u.M; Göreme Freiluftmuseum mit den besterhaltenen Felskirchen; Love Valley mit weissen Felstürmen; Pasabag mit den schönsten Felstürmen. 

Früh am Morgen wecken uns Zischgeräusche. Aha, das müssen wohl die Heissluftballone sein, die über den Felstürmen schweben! Ein Blick zum Fenster hinaus übertrifft unsere Erwartungen: Gegen Hundert Ballone bieten ihren Passagieren ein Spektakel von oben an. 

Der Kleinbus holt uns pünktlich um viertel vor zehn im Hotel ab. Wir sind die letzten der 14 Teilnehmer aus vier Nationen. Ein tagfüllendes Programm mit fünf Höhepunkten steht uns bevor. Mehmet, der Reisführer, versteht es bestens, uns die geschichtlichen und geologischen Aspekte der einzigartigen Steintürme zu erklären. So viel in Kürze: vor 10 Millionen Jahren haben 2 Vulkanausbrüche im Abstand von 1 Million Jahren diese Steintürme geformt. Der erste Ausbruch, bestand aus weicher Vulkanasche. Dazwischen kam eine Periode mit Kalksteinsedimenten. Später überdeckte eine dritte Schicht das Ganze mit härterem Vulkanauswurf. Zuletzt sorgten 9 Millionen Jahre Erosion für die Form der Felstürme. Dieser Prozess ist noch heute im Gang, der deutlich ersichtlich ist. Wir sehen viele neue Türme, Baby Türme, die über Millionen Jahre ihre volle Grösse erreichen werden.

Die frühesten Bewohner, die Seldschucken, bauten die ersten Höhlenwohnungen, die sie vor Angreifern schützten. Später folgten die ersten christlichen Mönche, unter andern Simon, der in einem Höhlenturm Zuflucht fand. Darauf siedelte sich die sich entwickelnde Christengemeinde mit Kirchen und Wohnhäusern in diesen Gebilden an. Auch die ersten Christen schützten die Felsbehausungen vor den Römern. Eine Kirche mit bunten Fresken aus dem 13. Jh. zeugt von der gut entwickelten Kultur. 


Weiterfahrt mit „RH-Bus“ bis Göreme     09.-10.09.19

Wir verbringen einen Teil des Tages im Park unterhalb der Sinterterrassen im Schatten der Bäume und suchen einen Geocache, der in einem Travertinfelsen versteckt ist. Schon bald können wir "gefunden" ins Logbuch eintragen. Den späteren Nachmittag verbringen wir im Schatten des Hotelhofes beim Pool auf den Liegestühlen mit Sudoku lösen und Weiterspinnen der Reise. Viel ist noch offen... Uns fasziniert der Eisenbahnzug: Dogu-Express, der nach Anatolien im Nordosten der Türkei fährt und der auch Schlaf- und Liegewagen haben soll. Um 19:30 ist es endlich so weit, dass wir mit dem kleinen Bus des Hotels zur Busstation in Denizli fahren können. Wir machen uns auf, um unsere Velos im Hof zu holen und sehen, dass der Fahrer unsere beiden Räder schon zum Einladen bereitgestellt hat, obwohl diese mit dem Schloss zusammengebunden sind. Über die „Autostrassen-Allee“, die mit Palmen und Pflanzen aufgemotzt ist, fahren wir zum Busbahnhof nach Denzili. Wir beladen unsere Räder und schieben sie danach durch die grosse Glasschiebetüre, wo wir sie wieder entladen müssen, weil alles inkl. Velo und wir gescannt werden – wie auf dem Flughafen. Beim Check-Inn Schalter hinweisen sie uns auf das Gate hin, wo der Bus abfährt. Und nun müssen wir sitzen und warten – eine (Tätigkeit, die hiesigen Männer viel besser beherrscht als wir). Es ist bald 22:00 Uhr, vorgesehene Abfahrtszeit. Eine Gruppe Asiaten wird merklich nervös, weil der Bus noch nicht da ist. Mit ein paar Minuten Verspätung fährt er ein. Alle stellen sich vor dem Stauraum auf. Wir auch. Der Beifahrer und der Chauffeur runzeln die Stirn und murren etwas. Offensichtlich freuen sie sich nicht über unser spezielles Gepäckstück. Zuerst werden die Koffer im Bauch des Buses verstaut und der füllt sich rasend schnell. Unserem Hab und Gut schenkt der Beifahrer keinen Blick. Sieht aus, als der uns gar nicht mitnehmen will? Wie hier üblich, kommt bei jeder Abfertigung der „Aufseher“, dem ich meine Bedenken mitteile. Er übernimmt das Kommando und befiehlt dem Auflader, wohin er die Räder platzieren müsse. Letzter freut sich offensichtlich nicht über die Intervention; so presst er die Stahlrösser mit Gewalt in einen Zwischenraum. Mir passt diese Handhabung nicht. Ich nehme ihm seine Arbeit ab, worüber er keine Freude zeigt - er mault und schimpft. Jä nu halt!

Mit wenig Verspätung fahren wir dem Hochland entgegen. Sobald wir Denizli verlassen wird es stockdunkel. Nur die wenigen Städte oder Tankstellen sind hellbeleuchtet. Insgesamt hält der Bus während der neun stündigen Fahrt fünf Mal. In den Busbahnhöfen, die meistens etwas ausserhalb der Stadt liegen, herrscht jeweils eine besondere Stimmung, eine sehr friedliche. Die Leute sitzen da und warten, warten… kramen in ihrem Gepäck, suchen die Toiletten auf, gehen ins Meskit. Wie bei der Moschee beten Frauen und Männer in der Meskit getrennt zu Allah. 

Dienstagmorgen früh kommen wir in Göreme an. Schon von weitem sehen wir Heissluftballone über den kegelförmigen Felsengebilden schweben. Wir freuen uns auf die Tage im National Park von Göreme, ein weiteres Weltnaturerbe. 


Besuch von Karahayıt bei Pamukkale     08.09.2019

Zufälligerweise stösst Martin auf eine Internetseite, die die mineralhaltigen heissen Quellen von Karahayit als kleines Pendant von Pamukkale, als Geheimtipp erwähnt. Da wollen wir hin, abseits des grossen Touristenstroms. So nehmen wir zeitig den Bus von Pamukkale nach Karahayit. Im Bus befinden sich nur Einheimische, das steigert die Spannung auf das, was uns erwartet. Eingangs Dorf biegt der Bus in eine enge Gasse ein, die mit Tüchern überspannt ist und sich über etwa einen Kilometer erstreckt. Es muss die Haupt- resp. die Marktgasse sein, denn sie ist gesäumt mit allerlei Geschäften, Cafés und sogar zwei Moscheen.

Wir steigen aus und halten Ausschau nach dem kleinen Naturwunder. Dort, wo es auf Google Maps markiert ist, finden wir nichts. So kehren wir zurück zur Busendstation und werden wegen der Gruppe Einheimischen auf der gegenüberliegenden Strassenseite neugierig. Am Rand der Travertinbecken sitzen Frauen und Männer mit grünem Mineralschlamm im Gesicht und an den Gelenken. Aus einem kleinen Kalksteinturm sprudelt heisses, saures, eisenhaltiges Wasser. Viele trinken davon und deuten uns an, dass es gesund ist. Ich unterhalte mich mit einer jungen Frau mit dem Google-Übersetzer und vernehme von ihr, dass sie hier wohnt wie auch viele der Besucher.

Bei unserer Rückkehr ist die Marktgasse gesperrt für den Verkehr. Wir schlendern ihr entlang und bestaunen das vielfältige Angebot: Seifen, Esswaren, Kleider, Eingemachts, Früchte, Gemüse und vieles mehr. Vis-a-vis der Moschee essen wir in einer kleinen Beiz ein Bide und eine Linsensuppe. Wunderbar schmeckt`s! Und wieder ruft der Muezzin zum Gebet. Scharenweise begeben sich ältere Frauen und Männer ins Gebetshaus. 


Besuch der historischen Stadt Hierapolis bei Pamukkale     07.09.2019

Heute besichtigen wir die antike Stadt Hierapolis, die auf dem Plateau über den Kalksteinterrassen liegt. Bevölkert war sie wahrscheinlich zwischen dem 3. Jh. v. Chr. bis ca. 13. Jh. n. Chr. 

Unter Eumenes II., König von Pergamon und ab 133 v. Chr. unter den Römern entwickelte sich die Stadt und war später ein Zentrum der Wollindustrie mit Färbereien, Webwerkstätten und Textilhandel.

Nach einem starken Erdbeben musste sie 60 n. Chr. neu aufgebaut werden. Ihre Blütezeit erlebte sie  Ende des 2. Jhd. n. Chr. Damals entstanden zahlreiche Gebäude, darunter Thermalbäder, Tempel und Theater sowie eine Nekropole (Totenstadt) mit Totenhäusern. Mit über 1200 Gräbern ist sie die grösste Nekropole der Antike in Anatolien.

Im 6. Jhd. begann der Verfall von Hierapolis. Im 14. Jhd. zerstörte ein weiteres verheerendes Erdbeben die meisten Gebäude der Stadt. 


Besuch der Travertin-Felsen von Pamukkale     06.09.2019

Wir stehen etwas früher auf, um die Travertin-Felsen von Pamukkale (übersetzt Baumwollberg) noch vor dem grossen Touristenstrom zu besichtigen und zudem wird es auch wieder einen sehr heissen Tag geben. Wir stellen bald fest, dass wir nicht zu den ersten Besuchern gehören. Entlang der ehemaligen Strasse, die zurückgebaut werden musste, wie auch die Hotels über den Terrassen, bewegen sich Menschenschlangen dem Kamm zu. Im Jahre 1996 wollte die UNESCO den Status Weltnaturerbe entziehen, was zum Glück verhindert werden konnte, da sich einige Politiker für den Verbleib einsetzten. Davor liefen die Besucher mit Schuhen über die Sinterterrassen und Hotels auf dem Plateau bezogen das kalkhaltige Thermalwasser für ihre Zwecke und liessen danach das verschmutzte und kalte Wasser über die Kalkfelsen rinnen, was den Zerfall des Naturwunders einleitete. Leicht sich vorzustellen, dass das gesamte Gelände nicht mehr weiss erschien. Heute müssen alle die Schuhe ausziehen und die Wege dürfen nicht verlassen werden. Obwohl letzteres nicht strikt eingehalten wird. Meist wachsame Aufsichtspersonen pfeifen die Ungehorsamen zurück. Wir geniessen den Aufstieg auf dem griffigen Kalkstein mit den schönen Mustern. Dort, wo noch etwas Wasser über die Steine rinnt, fühlen sie sich angenehm kühl an. Eine wahre Wohltat! Wegen der lange anhaltenden Trockenheit sind fast alle Becken leer. Mit einem ausgeklügelten Verteilsystem werden verschiedene Bereiche bewässert, wohl um die Sinterterrassen zu bewahren. 

Wie schön muss es erst sein, wenn sie voll mit türkisfarbenem Wasser sind! Uns kommt vor, als ob wir auf einem Gletscher wandern; ein besonderes Erlebnis von unbeschreiblicher Schönheit. 


Weiterfahrt mit „Pamukkale-Bus“ bis Denizli     04.-05.09.19

Wir verbringen einen Teil des Tages im Stadtpark-Café mit Bloggen, Sudoku Lösen, Cai trinken und E-Bund lesen. Gerade als wir uns gemütlich eingerichtet haben, erblicken wir vor einem öffentlichen Gebäude eine Blasmusik und viele Polizisten. Schon bald ertönt Musik, vielleicht die Nationalhymne? Die Leute erheben sich von ihren Stühlen und stehen ehrfürchtig, bis der letzte Ton verhallt, da. Dann werden die Fahnen gehisst und ein Redner begibt sich zum Podium. Mit der Ansprache ist der Google-Übersetzer leider überfordert. Ein einziges Wort: „Beruf“ übersetzt er. 

Um 20:50 Uhr fährt unser Bus ab Otogarı Station. Wir fahren frühzeitig los, denn wir möchten unbedingt vor Dunkelheit dort eintreffen und um 20:00 Uhr müssen wir sowieso dort sein, das hat uns der Schalterbeamte empfohlen. Immer noch bläst der Wind orkanartig aus der falschen Richtung und auch die Hunde haben noch keinen Feierabend. Beim Schalter angekommen, erspäht uns der Schalterbeamte. Er kommt zu uns und sagt, dass wir unser Fahrrad falten sollen. Falten, das können wir nicht. Er kann es nicht begreifen, offenbar gibt es für ihn nur Faltvelos oder sonst ist sein Wortschatz etwas bescheiden. Mit Mimik und Gestik machen wir ihm begreiflich, dass Falten nicht geht, aber dass wir das Vorderrad herausnehmen und den Lenker um 90 Grad drehen werden. Damit scheint er einverstanden zu sein. Wir sitzen auf der Wartebank und warten auf den Pamukkale-Bus. Ein Bus nach dem anderen fährt ein und speit Leute aus dem Inneren und noch viel, viel mehr Gepäck. Wir machen uns Sorgen. Wohin mit den Rädern, wenn der Stauraum schon zugestopft ist mit Koffern, Schachteln und Säcken? Mit wenig Verspätung fährt unser Bus ein. Der Fahrer und Busbegleiter wollen unsere Billette sehen. Sie runzeln die Stirn und sagen etwas wegen den Rädern. Uns wird’s mulmig. Wir weisen darauf hin, dass der Schalterbeamte uns gesagt hat, dass wir die Räder mitnehmen können und dass wir dafür kein Billett brauchen. Die beiden Männer gehen zum Schalter. Nach einer Weile kommen die Beiden zurück und deuten an, dass wir die Räder samt Gepäck einladen sollen, aber dass wir noch zusätzlich 50 türkische Lira (ca. 10 Fr.) bezahlen müssen. Wir übergeben die Note umgehend – ohne Quittung – und sind überglücklich, dass dem Transport nicht`s mehr im Wege steht. Erleichtert lassen wir uns in unsere reservierten Sitze fallen und geniessen schon bald den ersten Chai mit Snacks nach Wahl. Während den ganzen 12 Stunden werden immer wieder Getränke und Naschereien serviert. Die 12 Stopps, die an Imbiss Buden einlegt werden, verlängern zwar die Fahrt um etwa 6 Stunden, tun aber gut. Gegen Morgengrauen fahren wir durch die Ebene des „Grossen Mäander“, wo riesige Feigen-, Oliven- und Baumwollplantagen schon von Pflückern bearbeitet werden. Bei Sarayköy entdecken wir viele Rohre und Kühleinrichtungen und Strommasten – aber keine Kamine. Was sind das für Kraftwerke? Später im Hotel googeln wir und werden fündig. Im Tal gibt’s viel Geothermie --> Artikel.

In Denizli ist für uns Endstation. Wieder ein riesiger Busbahnhof mit vielen Menschen. Der Bus öffnet die Klappen. Wo sind unsere Räder? Der Busbegleiter hat den Überblick. Hinter Schachteln, Teppichen, Säcken… sind sie versteckt. Das Ausladen geht im Nu, schon stehen wir da mit unseren Habseligkeiten. Ein Tourenfahrer hat uns erspäht und wartet mit vielen Tipps und Gegebenheiten auf. Er und seine Frau nehmen den Bus in die Richtung, von der wir kamen. Die Beiden, obwohl Lands Leute, haben genug von den grossen Strassen oder sonst Schotterpisten und von den Hunden. Sie wollen nach Griechenland. Uns warnen sie vor der Schwarzmeerküste… 

Schon am Vormittag kommen wir in unserem Hotel in Pamukkale an und dürfen auch gleich das Zimmer beziehen, was wir enorm schätzen. Nach einer wohltuenden Dusche fallen wir in Tiefschlaf. 

Hochebene, Schwarzmeerküste, ja oder nein? Weiteres Planen steht bevor oder vielleicht auch ein Grundsatzentscheid. 


Planungstag in Keşan  03.09.19

Gut ausgeruht suchen wir den Frühstücksraum auf. Der freundliche Hotelier empfängt uns gleich am Eingang und weist uns einen Tisch zu. Dann bringt er uns einen Teller mit Weissbrot, Käse in Blätterteig gebacken, Pommes, eine Scheibe Aufschnitt, Eier, Tomaten, Gurken und Fetakäse. Den Chai und den Fruchtnektar dürfen wir am Büffet holen.

Bevor wir uns ans Planen machen, besorgen wir uns zwei Simkarten für die Türkei. Um eine zu erwerben, muss der Käufer einen gültigen Reisepass vorlegen – die ID wird nicht akzeptiert. Alles so richtig nach EU-Standard. Bei „Turkcell“, Moblifunkanbieter, werden wir vorzüglich behandelt. Angenehm auf dem Sofa, bei Tee, Kaffee und Gepäck erwerben wir die Karten. Es ist die vierte und teuerste Prepaid-Karte für ca. 20€ mit 8 GB, 200 Sprechminuten und 200 SMS. Jetzt sind wir wieder unter den Leuten; wir können jederzeit auf Google-Übersetzer zugreifen.

Auch im Hotel haben wir eine stabile, schnelle Internetverbindung, somit wird das Planen um einiges einfacher. Als wir diese Reise vorbereiteten, vernahmen wir unter vielen wertvollen Tipps wie öffentlicher Verkehr oder Verhaltensregeln, dass es in der Türkei ein gut ausgebautes Busnetz gibt. Wir suchen danach und werden positiv überrascht. Grössere Städte werden mit luxuriösen Bussen bedient. Die Billette mit samt Platzreservierung und Bezahlung können bequem von zu Hause aus abgewickelt werden. Was wir nicht ausfindig machen können, ist, ob Fährräder mittransportiert werden. So entschliessen wir uns, zum Busbahnhof zu fahren, der sich für die Langstreckenbusse ausserhalb der Stadt befindet und mit einem kleinen Stadtbus bequem erreicht werden kann. Ja, aber wo ist die Haltestelle? Kein Problem. Hier fahren viele Leute Bus. Dementsprechend weiss auch jeder, welche Busnummer wir nehmen müssen, wo einsteigen, beziehungsweise aussteigen müssen. Der Bus kommt und wir steigen ein. Der Stadtbus hat sechs Sitzreihen und in jeder Reihe sitzt ein Mann. Hmm, was nun? Verhaltensregel: Frauen sitzen nicht auf dieselbe Sitzreihe wie Männer, ausser es ist der Ehemann. Der Fahrer bemerkt meine Verunsicherung und weisst mir umgehend den Sitz ganz vorne, den Beifahrersitz zu. An allen Haltestellen steigen weitere Passagiere hinzu. Das Fahrgeld muss beim Fahrer bezahlt werden. Der Bus ist zum Bersten voll. Unmöglich, beim Fahrer persönlich zu bezahlen… Die zugestiegenen Passagiere reichen die Münzen und Noten über mehrere Hände nach vorne und so kommt auch das Retourgeld zurück. Für etwas Kühlung sorgt der Fahrer, indem er die Türen während der Fahrt offen lässt. 

Im Busbahnhof werden wir umworben von Agenten, die uns Billette nach Pamukkale (Sinterterrassen) anbieten wollen. Aber wir halten nach dem „Pamukkale“ - Busunternehmen Ausschau und werden fündig. Und siehe da, eine Frau, die viele Jahre in Deutschland lebte, bietet uns ihre Hilfe an. Nicht lange dauert es und wir sind im Besitz der Fahrkarten inkl. Zusicherung der Fahrradmitnahme. Die nächsten 540 km fahren wir mit dem Bus und zwar nachts – ein Novum für uns. 


Ipsala - Kesan      02.09.2019       39.07 km      ↑529 m        ↓435 m

Route: Kumdere, Akcesme, Kesan

 

Wir atmen auf, nachdem wir unser lausiges überteuertes Hotel verlassen können und fahren nochmals ins Städtchen Ipsala, um Proviant einzukaufen (wir hatten ja noch kein Zmorge); d.h. heute müssen wir zweimal die Autobahn überqueren. Am Vorabend haben wir uns eine lauschige ländliche Route durch kleine Dörfer ausgesucht. Wir sind gespannt auf unser Fahrerlebnis! Voller Enthusiasmus fahren wir auf geteerten Strassen über die ersten sanften Hügel und blicken aufs Land,  auf die Ebene der Mariza, wo es wegen der intensiven Bewässerung satt grün ist. Bald hört die Asphaltierung auf. Schon von weitem sehen wir grosse Staubwolken, die uns eine Vorahnung auf die kommenden Strassenverhältnisse geben. Was folgt beschreiben wir so: Alles von Schotter, rutschigen Kies- und Sandbänken, zunehmende Hitze, kurze steile Anstiege und scharfer Gegenwind. Mit durchschnittlich 8 km/h haben wir uns über Stunden abgerackert! 

Zuerst machen wir bei einer Rasenfarm halt, wo sie Rasenteppiche anbauen und ernten. Dies ist eine besondere Art von Wassernutzung. Der Vorarbeiter holt mich heran, um die Arbeiten zu fotografieren. Er ist sichtlich stolz über seinen Betrieb. Wir treten weiter kräftig in die Pedalen. Zwei Schafherden mit Hirten und anatolischen Hirtenhunden kreuzen die Strasse. Sie kommen von der Wassertränke und werden jetzt wieder zurück auf die abgeernteten Getreidefelder getrieben. Wir haben grossen Respekt und wir warten, bis die Herde samt Hunden und Esel sich in der Ferne verziehen.

Das Landwirtschaftsland scheint hier intensiv genutzt zu werden. Beim genauen Hinschauen sehen wir bewässerte Terrassen, wo Hirse und Reis wachsen und bald erntereif sind.

In einem kleinen Dorf ist Markt. Drei Stände sind aufgestellt: einer mit Ersatzstielen für Schaufeln, Beile und dergleichen, ein anderer für Veloräder und Schläuche und der letzte für Haushaltartikel wie Plastikbecken und Pfannen. Die vier Cafés im Dorf sind gut besetzt mit Männern - Frauen sehen wir keine – sie schauen uns hinterher. Die Anwesenheit von Fremden scheint hier auf dem Land sehr ungewöhnlich. Einer sieht uns kommen und winkt uns heran. Er lädt uns zum Chai, dem türkischen Nationalgetränk, ein. Wir nehmen die Einladung an und setzen uns zu den Männern. Sie sind interessiert an uns und wollen wissen woher wir kommen, wohin wir gehen, ob wir genügend Essen bekommen und ob wir immer eine Unterkunft finden. Sie reden auf uns ein, in der Meinung, je lauter sie sprechen, desto besser würden wir sie verstehen. Die Unterhaltung mit Mimik und Gestik hilft auch nicht wirklich weiter. Martin versucht``s mit zeichnen. Aber die Interpretation der Zeichnungen scheint für sie ungewohnt zu sein. Schliesslich gesellt sich ein Händler zu uns, der einige Worte deutsch spricht. (Er war mal für acht Jahre in Deutschland.)

Während der Chai-Runde ertönt der Ruf des Muezzins. Wir erfahren, dass im Dorf jemand gestorben ist und dass dies nun bekannt gemacht wird. 

Die Einladung zum Essen lehnen wir ab, da wir Respekt vor der restlichen Strecke nach Keşan haben. Sie meinen, dass wir entlang der Autobahn nur noch etwa 20 km weit fahren müssen und somit schnell in Keşan ankommen. Offenbar sind Velos auf der Autobahn nichts Aussergewöhnliches!

Am späten Nachmittag kommen wir todmüde in Keşan an. Wir beziehen ein schönes Zimmer in einem gepflegten Hotel. Das tut gut! Aber die Perspektive, auf weitere Schotterpisten, anatolische Hirtenhunde, Hitze und Gegenwind zu treffen, regt uns an, die Route zu überdenken. Wie weiter? Wir legen einen Planungstag ein. Na ja, da sind natürlich auch die starken Eindrücke von Land und Leuten.


Loutros (GR) – Ipsala (TK)      01.09.2019       46.22 km      ↑414 m        ↓422 m

Route: Loutros, Ferres, Peplos, Ipsala (TK)

 

Heute fahren wir auf Nebenstrassen, abseits des Verkehrs, entlang dem griechischen Seitenarm des Grenzflusses Mariza durch Landwirtschaftsland. Der Seitenarm dient offensichtlich der Bewässerung der Felder, wo wir Baumwolle, Mais und Heu ausmachen. Die Landschaft ist hügelig und der Gegenwind hält uns auf Trab. Vor der Grenze machen wir Pause in Peplos, einem kleinen Dorf, das auf einem Hügel über der Ebene des Grenzflusses Mariza liegt. Bevor wir die Grenze passieren, wollen wir nochmals einen griechischen Kaffee geniessen, obwohl sich der türkische nicht vom griechischen unterscheidet. Wie immer sind die Restaurants immer gut frequentiert, so auch bei dem, wo ein Gast und die Wirtin uns auf die Terrasse rufen. Als ob sie es uns ansehen, beginnen beide Deutsch, ja sogar Schweizerdeutsch mit uns zu sprechen. Die Lebensgeschichten wiederholen sich: Er arbeitete 32 Jahre in Zofingen und sie für 8 Jahre in Holland, nahe der Deutschen Grenze. Und wieder war die Finanzkrise das umfassende Thema. Dem Vernehmen nach sollen viele Menschen in diesem Dorf das Haus verloren haben. Der folgende Ausspruch von ihm umschreibt die momentane Situation in Griechenland: In Griechenland ist es so schön wie im Paradies, aber es lebt sich wie in der Hölle. 

Aber die beiden Rückkehrer leben dennoch zufrieden im Dorf und freuen sich, wenn sich jemand zu ihnen gesellt. Für den Kaffee, die Kekse und die Melonenschnitze wollten sie partout nichts haben. Und falls es uns in der Türkei nicht gefalle, müssen wir sofort wieder zurückkommen, wir können selbstverständlich bei ihnen hausen. Zu guter Letzt geben sie uns noch eine grosse Melone mit auf den Weg. 

Gespannt radeln wir der Grenze entgegen und sichten vor dem Zoll Lastwagen an Lastwagen gereiht. Puh, das wird wohl lange dauern, bis wir an der Reihe sind! Uns wird ein Zeichen gegeben, wir dürfen alle Vehikel überholen und uns ganz vorne anstellen. Nach dreimaligem Prüfen des Passes sind wir in der Türkei angekommen. Für uns unvorstellbar, fahren wir die ersten 7 km auf dem Pannenstreifen der Autobahn. Da aber nur hie und da ein Auto oder Lastwagen von hintern daher braust, können wir uns damit abfinden. Nur, wie können wir die Autobahn in Ipsala verlassen? Auch für das ist gesorgt, die Autobahn hat eine Kreuzung! 

Und nun beginnt die Suche nach dem Hotel. Auch hier scheinen die Koordinaten eine Glücksache zu sein. Nach mehrmaligem Nachfragen mit Hilfe des Google Übersetzers bekommen den entscheidenden Hinweis. Nur der Name des Hotels stimmt nicht mit dem überein, mit dem wir ein Zimmer reserviert haben. Aber es ist die einzige Unterkunft im Dorf – diese Situation scheint der Hotelier auszukosten. Bettwanzen und schmutzige Laken rechtfertigen den hohen Preis für die Unterkunft auf jeden Fall nicht. 

Um der Absteige zu entfliehen, fahren wir ins Städtchen, wo gerade die Landwirtschaftsmesse stattfindet. Grosse Traktoren und allerlei landwirtschaftliche Geräte sind zu besichtigen. Und an den Ständen hinter den Tischen ziehen Frauen mit Kopftüchern Teig zu dünnen Spaghetti-Fäden. Die sind wohl für die Baklava-Herstellung gedacht. Ich finde mich etwas unwohl im Gewusel - meine Kleidung deckt sich nicht mit ihrer.